Geliebter Rebell
ihm Modell stehen.
Das erste Ölgemälde von ihrem nackten Körper musste noch vollendet werden. Und er würde weitere malen. Er war reich, doch er gab sein Geld gern aus, und so durfte er nicht faulenzen. Das erste Bild von Gayle wollte er behalten, für sich selbst und die künftigen Kinder, die anderen – vielleicht eine Serie – verkaufen.
Und sie stimmte allen seinen Wünschen zu. Wenn es sein musste, würde sei ihm bis zum Jüngsten Tag Modell stehen.
Endlich schien der letzte Gast vorbeigegangen zu sein. Ria McCauley wandte sich zu ihrer neuen Schwiegertochter und umarmte sie. »Habe ich dir schon gesagt, wie glücklich wir sind, weil du jetzt zu unserer Familie gehörst?«
»Vielen Dank«, erwiderte Gayle gerührt, »du warst wundervoll.« Rias mutwilliges Lächeln erinnerte sie immer wieder an Brent – ein Lächeln voller Fröhlichkeit, charmanter Bosheit und sehr viel Zärtlichkeit.
Ria blickte über Gayles Schulter. »Darf ich dir deine Braut kurz entführen, Brent? Sie hat Onkel Hick noch nicht kennengelernt. Er ist da drüben in der Ecke.«
Er nickte, und jemand zerrte an seinem Arm, mehrere Leute drängten sich zwischen Brent und seine Frau. »Sag Onkel Hick, ich komme selber gleich rüber, ja?« bat er.
»Wird gemacht«, versprach seine Mutter.
Es dauerte eine Weile, bis sie sich einen Weg zu Onkel Hick bahnen konnten. Immer wieder wurden sie aufgehalten. An der Bar flöß der Champagner in Strömen, und die meisten Glückwünsche, die Gayle nun entgegennahm, klangen nicht mehr allzu artikuliert. Immer wieder wurde sie umarmt und geküßt, obwohl auch ein Händedruck genügt hätte, und sie hörte viele Anekdoten (»… Ich kannte Brent schon, als er noch…«) Trotz ihrer Ungeduld lächelt sie freundlich, denn alle meinten es gut mit ihr, das spürte sie.
»Wer ist Onkel Hick?« fragte sie, nachdem Ria sie vor besonders zudringlichen Gratulanten gerettet hatte, »Hat Brent ihn nicht erwähnt? Komisch, er vergöttert ihn.« Ria lachte. »Hick Ainsworth ist Jonathans Grossonkel väterlicherseits und schon über hundert Jahre alt. Niemand kennt sein genaues Alter. Ein wunderbarer Mensch! Sicher wirst du ihn mögen.« Abrupt blieb Ria stehen, und Gayle stieß beinahe gegen ihren Rücken.
»Onkel Hick, da bringe ich dir die Braut!« verkündete ihre Schwiegermutter und zog sie hinter sich hervor.
Er rnußte früher sehr groß gewesen sein, aber nun wirkte er winzig, weil er zusammengesunken dasass, auf einen Stock gestützt. Bei Gayles Anblick erhob er sich. Sie wollte protestieren, aber er grinste nur und weigerte sich, wieder Platz zu nehmen. Sein Gesicht glich narbigem braunem Leder. Die Augen waren fast farblos, von so hellem Blau, dass sie durchscheinend wirkten. Er besass einwandfreie Zähne – falsch, wie er ihr später erklärte – und dichtes weißes Haar, ganz echt.
Auch das sollte er ihr später versichern.
»Willkommen in der Familie, Gayle McCauley! Darf ich deine Wange küssen?«
»Natürlich.« Sie trat vor und wagte die Gestalt, die ihr so gebrechlich erschien, kaum zu umarmen. Aber er erwies sich als erstaunlich robust. Danach setzte er sich wieder, klopfte einladend auf den Stuhl neben sich und fragte, ob sie ihm eine Weile Gesellschaft leisten würde. Er erkundigte sich, wie sie Brent kennengelernt hatte. Während sie erzählte, verriet Onkel Hicks Lächeln, dass er schon einiges über die diese große Liebe gehört hatte. Sie beschloß, das Thema zu wechseln. »Wohnst du hier in der Nähe?«
»Ich bin in Virginia geboren und aufgewachsen«, antwortete er, und seine Sprechweise erinnerte sie an Brent. Natürlich, sagte sie sich belustigt, ich werde noch viele Gemeinsamkeiten zwischen meinem Mann und diesen Leuten feststellen.
Immerhin sind sie seine Verwandten. »Ich habe ein altes Haus im TidewaterGebiet«, fuhr Onkel Hick fort, »nicht weit von Williamsburg, aber näher bei Yorktown. Ein uraltes Gebäude, älter als die USA.«
»Wie grossartig!« rief Gayle begeistert und berichtete von ihrem eigenen Haus in der Monument Avenue, das aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts stammte.
Er beschrieb sein Heim, die breite Veranda, wo man herrliche Sommerabende verbringen konnte, die hohen, schönen georgianischen Säulen. »Hast du Mount Vernon schon mal gesehen, Mädchen?«
»Ja.«
»So sieht mein Haus auch aus, erbaut von einem Mann, der General Washington sehr verehrte. Natürlich hat sich Mount Vernon sehr verändert. Washington liess während des Krieges und
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