Geliebter Rebell
dann werde ich wegfahren.«
»Wollen Sie einkaufen?«
»Ich werde wieder mal nach Antiquitäten stöbern.«
»Versuchen Sie’s mal in der Mulberry Lane. Neulich war ich bei einem Schlußverkauf, und da sah ich ein Schild, das einen Trödelmarkt auf einer Farm ankündigte. Da findet man meistens die preiswertesten Antiquitäten.«
»Ja, das stimmt. Danke.« Gayle nahm einen Apfel von der Küchentheke und verliess das Haus.
Draußen herrschte bereits reges Leben und Treiben, der Gärtner und seine Gehilfen hatten zu arbeiten begonnen. Sie winkte den Männern zu und stieg in ihr Auto. Eine Zeitlang fuhr sie am Fluß entlang, dann parkte sie am Straßenrand und starrte ins Wasser, doch sie fand keinen inneren Frieden, konnte sich noch immer nicht erklären, was geschehen war.
Sie fuhr weiter, bis sie das Schild fand, das Mary erwähnt hatte. Eine breite Zufahrt führte zu einer großen, rotgestrichenen Scheune. Eine hübsche junge Frau fütterte Hühner im Hof und forderte Gayle auf, sie solle sich umsehen und, falls sie Hilfe brauche, nach ihr rufen.
Gayle betrat die Scheune, inspizierte Möbel und landwirtschaftliche Geräte – Sicheln, Äxte, Wagenräder, alte Milchflaschen, Butterfässer und dergleichen. Ein schöner antiker Schreibtisch aus Kirschbaumholz hätte dringend restauriert werden müssen. Sie beschieß ihn zu kaufen, und als sie sich dann umdrehte, entdeckte sie die Kiste. Neugierig kniete sie davor nieder und hob den Deckel. Ein Stapel Pergamentpapier lag darin, und sie wurde ganz aufgeregt, als sie erkannte, wie alt diese Blätter sein mussten – über zweihundert Jahre, wenn sie sich nicht täuschte.
Obenauf lagen alte Landkarten vom TidewaterGebiet, mit Eintragungen wie ›McArthurs Garten‹ und ›Tinesdales Weide‹. Gayle griff unter das Pergamentpapier und entrollte ein Blatt. Ihr Atem stockte, als sie die Bleistiftskizze einer Schlachtszene betrachtete, mit Kanonen und uniformierten Männern.
Sie wusste sofort, was die Zeichnung darstellte. Vor wenigen Monaten hatte Brent eine Skizze und dann ein Ölgemälde von genau derselben Szene fertiggestellt. Während des Unabhängigkeitskrieges hatte die Schlacht in der Nähe von Richmond stattgefunden.
Die Kiste enthielt noch weitere Skizzen, doch die interessierten Gayle vorerst nicht. Sie hockte sich auf die Fersen. Brent hatte nicht nur dieselbe Szene skizziert, sondern auch auf dieselbe Weise. Sogar die Mienen der Soldaten stimmten überein. Wie immer der Künstler jene Schlacht damals interpretiert hatte – Brent sah sie mit denselben Augen. »Oh, mein Gott«, flüsterte sie.
»Kann ich Ihnen helfen?« Die junge Farmersfrau kam in die Scheune, und Gayle stand rasch auf.
»Ja, danke. Ich nehme den Schreibtisch und diese Kiste mit den Landkarten und Skizzen. Was muss ich dafür bezahlen?«
Die Frau nannte einen Spottpreis und fragte, ob das zuviel sei, als Gayle lächelte.
»Nein, im Gegenteil – ich schulde Ihnen mehr«, erwiderte Gayle und bestand darauf, ihr zusätzlich zwanzig Dollar zu geben. Allein die Landkarten hätten in einem Museum ausgestellt werden müssen. Doch zunächst würden sie nicht dorthin gelangen. Sie beschieß, alles zu behalten, bis sie feststellen konnte, was sie da erworben hatte. Vor allem wollte sie Brent die Schlachtszene zeigen. Nein, besser Geoff. Sie würde ihn fragen, was er davon hielt.
Zu Hause angekommen, brachte sie ihre Neuerrungenschaften in die alte Küche. Dieser Raum war ihr ureigenstes Reich.
Hier fühlte sie sich heimischer als im Haupthaus. Voller Bewunderung betrachtete sie den antiken Schreibtisch, dann schleppte sie die Kiste mit den Landkarten und Skizzen zum Schrank und verstaute sie im untersten Fach.
Plötzlich schaute sie verwirrt auf, Brent stand in der Tür, die Jeans und das T-Shirt voller Farbspritzer. Tiefer Kummer verdüsterte seine Augen. Mit einem schiefen Lächeln breitete er die Arme aus. Halb erstickt schrie sie auf und warf sich an seine Brust. Er hielt sie fest umschlungen und rieb seine Wange an ihrem Haar. »Gayle, ich weiß nicht, was passiert ist, aber wenn ich dich verletzt habe, tut’s mir leid. Ich liebe dich über alles, du bist mein Leben. Bitte, verzeih mir.«
Alles Leid und alle Angst schwanden dahin, als würden sie von einem reinigenden Regen weggespült. Erleichtert anriete sie auf. Er liebte sie genauso, wie sie ihn liebte.
»Sag doch was!« flehte er.
Sie legte den Kopf in den Nacken und schenkte ihm jenes strahlende Lächeln, das er immer
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