Geliebter Rebell
nein! Ich habe dich geschlagen und gekratzt. Und du sagst mir…«
»Ich werd’s überleben.«
»Brent, bitte! Es wird immer schlimmer.«
Er stand auf, und sie merkte, dass er viel angespannter und besorgter war, als er es zeigen wollte. Mit allen Fingern fuhr er sich durchs Haar, dann griff er nach dem Cognacglas und leerte es. Schliesslich setzte er sich wieder. »Ich frage mich, was wir tun sollen, Gayle. Nun war ich sogar bei Dr. Shaffer, und du gehst seit Wochen zu ihm.« Einen Arm um ihre Schultern gelegt, drückte er sie an sich. »Vielleicht taugt der Mann nichts.«
»Daran liegt es sicher nicht«, entgegnete sie tonlos. »Morgen habe ich einen Termin bei ihm.«
»Wirst du ihn einhalten?«
»Ja. Ich werde ihm erzählen, dass ich mitten in der Nacht aus dem Haus gerannt bin, meinen Mann geschlagen und gekratzt habe und mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, warum.«
»Liebling…«
»O Brent!«
Plötzlich wurde er sehr ernst. »Was ist mit Thane?«
»Thane?«
»Ich meine den Jungen, mit dem du in Paris zusammenlebtest – der Selbstmord beging. Du sagtest mir, warum du ihn verlassen hattest. Wäre es möglich, dass du von ihm geträumt, ihn bekämpft und mich für ihn gehalten hast?«
Nachdenklich schüttelte sie den Kopf. »Das ist so lange her.
Und ich habe ihn nie so geliebt wie dich.«
»Das glaube ich dir. Ich weiß es. Aber…« Er zögerte. »Heute nacht warst du völlig außer dir. Du hattest Angst vor mir, du haßtest mich, und du schriest… Ich suchte nach einer Erklärung. Sprich mit Dr. Shaffer darüber. Mal abwarten, was er meint.«
»Aber…«
»Was?«
»Hängst das alles mit – deinem Verhalten zusammen?«
Statt einer Antwort seufzte er nur, und sie sah, wie der Kratzer auf seiner Wange wieder zu bluten begann, und berührte ihn vorsichtig. »O Brent…« Unglücklich brach sie in Tränen aus. Sie fühlte sich elend, und er konnte sie nicht besänftigen.
Und so hielt er sie einfach nur in den Armen. Als sie sich endlich beruhigt hatte, schaute er ihr in die Augen.
»Alles wird wieder gut, Gayle – weil ich dich liebe. Was immer auch geschehen mag, ich liebe dich, und ich werde dich lieben bis zu meinem letzten Atemzug.« Er streichelte ihr Gesicht, und sie küßte ihn.
Den Kopf an seiner Brust, schlief sie ein. In dieser Nacht träumte sie nicht mehr.
Gayle wollte sich in Dr. Shaffers Praxis nicht auf die Couch legen. Das störte den nicht. Er meinte, seine Patienten sollten liegen, sitzen, auf den Füßen oder sogar auf dem Kopf stehen – was immer am bequemsten für sie war.
An diesem Tag sass sie im Lehnstuhl vor dem Kamin und trank Tee. Sie schilderte die Ereignisse der vergangenen Nacht und er lauschte aufmerksam. Dann stellte er einige Fragen, die alle mit denselben Worten begannen. Glauben Sie, Ihr Mann würde Ihnen weh tun? Glauben Sie, dass Sie eifersüchtig sind?
Glauben Sie, die Heirat könnte ein Fehler gewesen sein? Nein, nein und nochmals nein. Sie erwähnte Brents Vermutung, die Thane betraf, die Überlegung, sie wolle sich an Thane rächen und Brent für alles büßen lassen. Ihr Mann fand, sie solle sich Zeit nehmen und diesen Gedankengang gründlich erforschen.
Doch Gayle hegte keinerlei Ressentiments gegen Thane. Er war tot, und er hatte genug gelitten.
Dann erkundigte sich Dr. Shaffer, ob sie glaube, Brent würde versuchen, sie als verrückt hinzustellen. Irgend etwas in seiner Stimme irritierte sie, und sie gewann den Eindruck, er würde Brent für völlig gesund halten. Mit ihrem Mann wäre alles in Ordnung, abgesehen von der Wahl seiner Ehefrau.
Sie hatte Dr. Shaffer immer gemocht, obwohl sie die Therapie sinnlos fand. Doch an diesem Nachmittag haßte sie ihn.
Als er schließlich erklärte, er könne ihr nicht helfen, solange sie sich nicht selber helfen wolle, rannte sie schluchzend aus der Praxis. Dann geriet sie in Wut, stürmte ins Sprechzimmer zurück und fauchte ›Ich haßte meine Mutter nicht, und ich hatte keine krankhaften Fantasien über meinen Vater. Meine Eltern waren wunderbare Menschen. Sicher weigerte ich mich irgendwann, meinen Spinat zu essen, und ich war manchmal wütend auf sie, weil sie mir irgendwas verboten hatten.
Dann verlor ich sie, und das tat verdammt weh, aber ich überwand meinen Kummer. Und was Thane angeht – ja, verdammt, ich fühlte mich seinetwegen schuldig. Aber ich war nicht dumm, Dr. Shaffer. Ich wusste, dass er sich selbst zerstört hatte und dass es mir unmöglich gewesen war, etwas
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