Geliebter Rebell
hatte – jedenfalls nicht diesen gemütlichen, hellen Raum. Hohe Fenster liessen das Licht des blauen Himmels herein. Der Teppichboden und die Möbel waren in warmen Erdfarben gehalten und überall wucherten Grünpflanzen. Es hätte eine sehr hübsche Arztpraxis sein können, wäre da nicht das Wort ›Parapsychologin‹ an der Tür gewesen.
Geoff und Tina begleiteten Gayle. Am Telefon hatte Dr. Clark versichert, es mache ihr überhaupt nichts aus, wenn sie zu dritt erscheinen würden. Eine Assistentin fragte, ob sie Kaffee oder Tee trinken wollten. Während
sie
davonging, um die Ärztin zu holen, schauten sie sich um.
»Wenigstens hängen keine toten Hühner an den Wänden«, murmelte Tina.
»Ich glaube, so was gehört eher zum Voodoo-Zauber«, erwiderte Gayle.
»Ich sehe auch keine Schrumpfköpfe«, bemerkte Geoff.
»Das ist Kannibalismus«, erklärte Gayle, aber der Versuch der beiden, sie aufzuheitern, hatte Erfolg. Sie lachte und fühlte sich etwas besser.
Dann kam Dr. Marsha Clark herein, und alles wurde noch viel besser. Die modisch gekleidete, schlanke Frau mit dem schulterlangen, dauergewellten braunen Haar war nicht nur attraktiv, sondern schön, mit feingezeichneten Gesichtszügen und vollen Lippen. Besonders gewinnend wirkten ihre Augen, die in einem warmen Dunkelbraun leuchteten, Humor und Interesse an den Mitmenschen ausstrahlten. Gayle schätzte sie auf Mitte Dreißig. Das gerade Gegenteil einer »alten Vettel«, dachte sie.
Marsha Clark fiel es nicht schwer, in Gayle und nicht in Tina die junge Frau zu erkennen, die ihre Hilfe suchte, und sie schüttelte ihr die Hand. Sie lächelte Geoff an, brachte ihre Freude über das Wiedersehen zum Ausdruck, und er machte sie mit Tina bekannt.
»Also, Mrs. McCauley«, begann Dr. Clark, »Sie und Ihr Mann verhalten sich in letzter Zeit etwas seltsam«
»So könnte man’s in knappen Worten nennen«, bestätigte Gayle lächelnd.
»Einiges haben Sie mir schon am Telefon erzählt, aber gehen wir alles noch mal durch. Es fing mit Alpträumen an, nicht wahr?«
»Genau.«
»Und an ihrem Hochzeitstag fiel sie in Ohnmacht«, ergänzte Geoff.
»Oh, Sie hätten die beiden sehen sollen!« warf Tina ein.
»Liebe auf den ersten Blick…«
Gayle starrte ihre Freundin strafend an, und Dr. Clark lachte.
»Das klingt wundervoll. Also, Sie fielen am Hochzeitstag in Ohnmacht, und dann begannen die Träume. Nach dem Umzug in dieses alte Haus ging eine merkwürdige Veränderung mit Ihrem Mann vor. Er sprach Sie mit einem anderen Namen an, benahm sich, als hätten Sie ihm was Schlimmes angetan, war grob und sogar grausam.
Unbehaglich nickte Gayle.
»Und dann?«
»Ich – ich hatte wieder einen Traum und floh vor Brent, hinaus auf den Rasen. Als er mich aufhalten wollte, bekämpfte ich ihn.«
»Sie taten einander weh?«
Gayle seufzte nervös und schaute auf ihre Hände hinab.
»Ja.«
»Und mit welchem Namen redete er Sie an?«
»Katrina.«
Dr. Clark nippte an ihrem Kaffee und schwieg so lang, dass Gayle unruhig wurde. »Dr. Shaffer versicherte, wir beide seien geistig normal. Woran kann es liegen, Dr. Clark? Sind wir besessen?«
Die Ärztin lachte leise. »Das bezweifle ich. Aber es gibt mehrere Möglichkeiten.«
»Soll ich einen Priester ins Haus kommen lassen?«
»Vielleicht – doch nach allem, was Sie mir erzählt haben, würde ich Ihnen nicht dazu raten. Wo ist Mr. McCauley heute?«
Gayle starrte wieder auf ihre Hände. »Keine Ahnung.«
»Ihre Absicht, mich zu konsultieren, hat ihm mißfallen?«
Nur ein paar Sekunden lang überlegte Gayle, ob sie lügen sollte. Sie brauchte so dringend Hilfe, und so gab sie zu »Ja.«
»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen, Mrs. McCauley, es stört mich nicht. Viele Leute denken so. Wenn es nötig ist, werden wir ihn schon irgendwie hierherholen.«
»Wenn es nötig ist?«
»Wir fangen mit Ihnen an.«
»Und – wo?«
»Wurden Sie jemals hypnotisiert?«
»Nein, noch nie.«
»Wären Sie bereit, sich von mir hypnotisieren zu lassen?«
Gayle starrte Marsha Clark an und empfand plötzlich Angst.
Eine gewaltige Welle schien sie zu überrollen. Irgend etwas würde bei einer Hypnose herauskommen, das wusste sie. Ein Geheimnis, so tief in ihrem Inneren vergraben, dass Dr. Shaffer es unmöglich aufspüren konnte. Und nun sollte es an die Oberfläche geholt werden. »Ich…«
»Keine Bange, das ist eine ganz einfache Prozedur. Was Sie zweifellos über die Hypnose gehört haben, stimmt – in diesem Zustand tut
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