Geliebter Schuft
Moment sind sie noch unausgegoren, doch das wird schon werden.« Sie lächelt». »Ihr sollt alles erfahren, wenn ich soweit bin. Ach, übrigens wollte er, dass wir mit ihm im Automobil fahren, doch ich konnte ihm das ausreden. Ich sagte, Vater beabsichtige, trotz seiner schwachen Augen einen Motorwagen zu kaufen, und wir wollten ihn nicht dazu ermutigen.«
»Gut reagiert.« Prudence gähnte unwillkürlich. »Hast du etwas Brauchbares über Miss Westcott erfahren?«
»Eigentlich nicht. Ein naives Mädchen ist sie jedenfalls nicht. Sie ist eine erwachsene Frau, wie Max es formulierte. Und sie hat es bei den Grahams länger ausgehalten als jede andere Gouvernante, also muss das Kind sie mögen. Das wär's.«
»Immerhin etwas. Möchte wissen, was an ihrer Situation so heikel ist.« Chastity ging an die Tür.
»Das werden wir sicher herausfinden.« Constance löschte die Lichter und folgte ihrer Schwester ins Schlafzimmer.
Amelia Westcott überquerte, vom Hyde Park kommend, eilig die Park Lane, an der Hand die protestierende Pamela, und betrat das Postamt in dem Moment, als ein Regenschwall über die Straße wehte.
»Mein Hut ist ganz nass«, jammerte Pammy. »Mein neuer Strohhut. Mama hat ihn mir erst gekauft, und jetzt ist er nass und kaputt.«
»Er trocknet wieder, Pammy«, sagte Amelia. »Sieh doch, jetzt sind wir dem Regen entronnen.« Sie ließ die Tür hinter sich zufallen. »Veranstalten wir ein Regentropfenrennen am Fenster.« Sie schob das Mädchen zur Glasscheibe und deutete auf zwei herunterrinnende Tropfen. »Der linke gehört mir.« Sie wies mit dem Finger darauf.
»Den möchte ich haben.«
»Also gut. Dann nehme ich den rechten daneben.« Einen Seufzer unterdrückend, ging Amelia an den Schalter, wo der Angestellte sie mit einem mitfühlenden Lächeln empfing.
»'n Morgen, Miss Westcott. Für Sie ist ein Brief da ... heute eingetroffen.« Er drehte sich zu der Wand mit den vielen offenen Fächern um und langte nach einem länglichen Umschlag.
»Meiner hat gewonnen! Meiner hat gewonnen!« Pamela tänzelte zum Schalter. »Sehen Sie, Miss Westcott, meiner hat gewonnen!« Sie griff nach der Hand ihrer Gouvernante und zog sie zurück ans Fenster. Amelia steckte den Brief in die Tasche, dankte dem Mann hinter dem Schalter mit einem Lächeln und ließ sich zur Scheibe ziehen, um den Triumph des anonymen Regentropfens zu bewundern.
»Sehen Sie!« Pamela tippte auf das untere Ende der Scheibe. »Das war meiner. Noch einmal. Ich möchte noch einmal.« Ihre Stimmlage hob sich in der Erwartung von Widerspruch.
»Und welcher soll deiner sein?«, fragte Amelia rasch.
»Der da!« Die Kleine zeigte hin. »Und dieser ist Ihrer.«
Amelia fand sich damit ab, dass sie diesem langweiligen Spiel eine Viertelstunde opfern musste. Der Brief in ihrer
Tasche interessierte sie brennend, doch war nichts zu gewinnen, wenn sie den Teufel in Pamela weckte. Müde dachte sie, dass sie Kinder immer gemocht hatte und der Meinung gewesen war, die Position einer Gouvernante wäre für eine gebildete, mittellose Frau nicht das schlimmste Los, wenn sie jetzt aber dieses verzogene und dabei irgendwie traurige Kind ansah, erschien ihr sogar ein Leben auf der Straße erstrebenswerter.
Schließlich hatte Pamela d as Spiel satt, und auch der Regen hörte auf. Sie gingen zurück in die Albermarle Street, das Kind war guter Dinge, da es sich bei jedem Tropfenrennen den Sieg gesichert hatte. Pamela plapperte ununterbrochen und hüpfte ungeachtet der Spritzer auf ihrem gesmokten Schürzchen und den weißen Strümpfen immer wieder durch Pfützen. Nanny Baxter wird aus den behaglichen Tiefen ihres Armsessels heraus den ganzen Nachmittag nörgeln, dachte Amelia. Nun, heute würde es ihr nichts ausmachen. Sie hatte ein paar kurze Stunden frei und einen Brief in der Tasche.
Im Tageskinderzimmer setzte sie ihren Schützling unter der Aufsicht des Kindermädchens an den Mittagstisch und zog sich zurück. Ihr eigenes Zimmer lag neben dem Schlafraum des Kindes, damit sie rasch zur Stelle sein konnte, falls Miss Pammy wegen eines Albtraums aufschreckte. Sie zog den Umschlag aus der Jackentasche und schlitzte ihn mit dem Fingernagel auf, holte den einzelnen Bogen heraus und setzte sich auf das schmale Bett. Die Handschrift war weiblich, der Inhalt ließ ihr Herz höher schlagen. Lyons Corner, Marble Arcb, beute um vier. Wer auch immer die Kontaktperson war, sie wollte ihr helfen.
Amelia ließ sich in Mantel und Hut, die noch immer nass waren,
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