Geliebter Schuft
ähnlich neutralem Ton. Sie nahm ihre Abendtasche an sich. »Wenn Sie mich entschuldigen wollen ...«
Max erhob sich, als der Kellner ihren Stuhl zurückschob und sie, ihren Rock anmutig raffend, aufstand. Er sah ihr nach, als sie durch den Speisesaal zur Damengarderobe ging und unterwegs an einigen Tischen stehen blieb. Ob der Abend ein Erfolg geworden war oder nicht, konnte er nicht abschätzen. Er hatte erfahren, was er wissen wollte, doch hatte er nicht den Eindruck, dass es ihm geglückt wäre, die Dame zu entwaffnen. Sie zeigte keine Neigung auf Schmeicheleien oder Verführungsversuche einzugehen. Sie war zwar eine reizvolle Frau und anregende Begleiterin, doch ihre leidenschaftliche Beharrlichkeit und ihre Neigung, zu Wortgefechten waren enervierend. Aber vielleicht war das ihre Art, ihn in Schach zu halten. Wenn es sich so verhielt, funktionierte es nur zu gut.
Seine Neugierde war aufs Äußerste gereizt. Er wollte die Festung erobern. Hinter der intellektuellen Fassade musste es das Weib geben. Den Verstand beflügelnde Leidenschaft war ja gut und schön - und er konnte Constances geistigen Fähigkeiten seinen Respekt nicht versagen -, doch daneben gab es noch andere Leidenschaften. Auch eine so konsequente Person wie Constance würde sich dieser Erkenntnis nicht verschließen können, ebenso wenig wie sie auf die damit verbundenen Freuden verzichten würde.
Constance tauchte wieder auf, nachdem sie in den Waschräumen im Handtuchkörbchen unbeobachtet von der Toilettenfrau diskret eine Ausgabe von The Mayfair Lady hinterlassen hatte. Sie war nicht sicher, was ihr der Abend wirklich gebracht hatte. Sie hatte ein paar belanglose Einzelheiten über Miss Westcott erfahren und wusste nun, dass die Regierung sich mit der Frage des Frauenstimmrechts zu befassen gedachte. Viel war es nicht. Und sie hatte nicht den Eindruck, in Max Ensors längst überholte Ansichten von der Rolle der Frau auch nur die kleinste Bresche geschlagen zu haben. Die Macht hinter dem Thron , nicht zu fassen. Aber sie hatte noch ein ganzes Wochenende vor sich. Ein
Wochenende unter ihrem eigenen Dach. Erzielte sie bei ihm keinen Fortschritt, war sie nicht die Frau, für die sie sich hielt.
Max war aufgestanden, als sie sich dem Tisch näherte. Sie trug ein kleines Lächeln zur Schau, ein rätselhaftes und ziemlich selbstzufriedenes Mona-Lisa-Lächeln, dazu einen gewissen Schimmer in den Augen, der ihn faszinierte, wiewohl er auch seine Wachsamkeit weckte. Was hatte sie in den unschuldigen vier Wänden der Damengar derohe getrieben? Er sagte nur: »Die Droschke wartet.«
Constance wurde sich ihres Lächelns erst bewusst, als sie seinen versonnenen Blick auffing. Sie merkte, dass sie die ganze Zeit über, als sie durch den Raum schritt, gelächelt hatte. Hastig korrigierte sie ihre Miene und murmelte ein paar passende Artigkeiten.
Sie saßen schweigend im dunklen Wageninneren, doch es war ein angespanntes Schweigen. Constance fragte sich, ob er einen Schritt tun würde, und wie sie reagieren sollte, falls er ihn täte. Am Ende eines solchen Abends war ein diskreter, zurückhaltender Kuss nicht ungewöhnlich. Lange brauchte sie nicht zu warten. Max legte leicht seine Hand auf ihr Knie. Ohne zu reagieren, nahm sie den warmen Druck durch die dünne Seide wahr. Er drehte sich auf der Lederpolsterung der Bank zu ihr hin, fasste mit der anderen Hand unter ihr Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. Sie konnte im Halbdunkel seine Augen sehen, glühend und dunkel, die Form seiner Nase, den vollen sinnlichen Schwung seines Mundes. Sie verharrte reglos und stumm, noch immer unsicher, wie sie reagieren wollte.
Max strich mit einem Finger über ihre Lippen, und fragte sich, wie er ihr Schweigen deuten sollte, ihre Reglosigkeit, die weder Ermunterung noch Abfuhr bedeutete. Dann öffnete sie die Lippen und berührte seinen Finger leicht mit der Zungenspitze. Die kühne Sicherheit ihrer Geste erstaunte ihn, auch als ihm aufging, dass er sich von Constance nicht mehr überraschen lassen durfte. Er beugte den Kopf vor und küsste sie. Ihre Reaktion verriet ihm deutlich, dass sie in diesen Dingen keine Anfängerin war. Umso besser, dachte er. Ihr Mund öffnete sich unter seinen Lippen, sie umschlang seinen Nacken, und als seine Zunge tief in ihren Mund eindrang, begegnete sie ihr Zug um Zug. Er hatte ihr nur einen keuschen Kuss auf die Wange geben wollen, sie aber war selbst aktiv geworden. Sonderbar, und er war nicht ganz sicher, ob es ihm gefiel.
Der
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