Geliebter Tyrann
Scharfes sie in den inneren Schenkel biß.
Es dauerte ein paar Minuten, ehe sie sich wieder aufgerichtet und aus ihren Röcken gewickelt hatte. Als sie endlich auf dem glitschigen Grund des Baches stehen wollte, knickte ein Bein unter ihr ein. Sie faßte nach einem Zweig, der über dem Wasser hing, und zog sich mit seiner Hilfe ans Ufer zurück. Als sie nun wieder auf dem Trockenen stand, hob sie die Röcke, um den Schaden zu begutachten. Sie entdeckte einen langen, gezackten Riß an der Innenseite ihres linken Schenkels, der heftig blutete. Sie riß ein breites Stück vom Saum ihres Hemds ab und stillte damit das Blut. Nach ein paar Minuten hörte die Blutung auf, und sie verwendete noch ein Stück von dem Leinenstoff, um das Bein zu bandagieren.
Der Wundschmerz, die Erschöpfung und der Schwindel, der von ihrem Hunger kam, waren zuviel für sie. Sie lehnte sich gegen die aus Sand und Kieseln bestehende Böschung des Bachufers und schlief ein.
Der Regen weckte sie. Die Sonne war bereits im Begriff, unterzugehen, und zwischen den Bäumen nistete sich schon wieder die Nacht ein. Ihr Bein pochte vor Schmerz, und sie fühlte sich schwach, vermochte sich kaum auf den Füßen zu halten. Der kalte Regen zwang sie zu der Einsicht, daß sie eine Unterkunft finden müsse.
Barfuß humpelte sie weiter, ihre Sohlen bluteten, und sie hatte ein Gefühl, als schwebte sie über ihrem Körper, so daß der Schmerz sie nicht mehr erreichen konnte. Vor Stunden schon hatte sie die letzten Haarnadeln verloren, und die Strähnen hingen kalt und naß bis zu ihrer Taille hinunter.
Zwei große Tiere näherten sich ihr mit entblößten Zähnen und feurigen Augen. Sie wich vor ihnen zurück und preßte sich mit dem Rücken gegen einen Baum. »Wölfe«, flüsterte sie entsetzt.
Die Tiere rückten weiter vor, und sie drängte sieb noch dichter an den Baum heran in dem Bewußtsein, daß jetzt die letzten Minuten ihres Lebens angebrochen waren. So jung mußte sie sterben! So vieles gab es noch, was sie nun nicht mehr erleben durfte...
Plötzlich erschien eine große Gestalt- ein Mann- auf dem Rücken eines Pferdes. Sie versuchte zu erkennen, ob es eine Gestalt aus Fleisch und Blut war oder nur eine Ausgeburt ihrer Phantasie; aber das Schwindelgefühl in ihrem Kopf war so heftig, daß sie nicht zu sagen vermochte, was von beidem es nun war.
Der Mann - oder die Erscheinung - stieg vom Pferd, sammelte ein paar Steine auf und rief: »Verschwindet!« Dann warf er die Steine den Hunden nach, die rasch kehrt machten und davonrannten.
Der Mann ging auf Nicole zu. »Warum, zum Teufel, haben Sie nicht einfach gesagt, daß sie Weggehen wollen?«
Nicole blickte ihn an. Selbst im Dunklen konnte man
Clayton Armstrong sogleich an seiner arroganten Stimme erkennen.
»Ich dachte, es wären Wölfe«, flüsterte sie.
»Wölfe!« schnaubte er. »Du meine Güte! Drei Straßenköter, die um ein bißchen Futter bettelten. Egal. Ich habe jetzt genug von diesem Unsinn. Sie kommen mit mir nach Hause.«
Er drehte sich ab, als wäre es eine Selbstverständlichkeit, daß sie ihm folgen würde. Nicole hatte nicht mehr die Kraft zu einem Widerspruch. Tatsächlich hatte sie überhaupt keine Kraft mehr. Sie bewegte sich einen Schritt vom Baum fort, dann gaben ihre Beine nach und sie brach zusammen.
4
Clay vermochte sie gerade noch aufzufangen, ehe sie zu Boden stürzte. Er unterdrückte diesmal seine Bemerkung über die Dummheit von Frauen, als er sah, daß sie fast ohnmächtig war. Ihre bloßen Arme waren kalt, naß und klamm. Er kniete sich hin, lehnte sie gegen seine Brust, zog seinen Mantel aus und wickelte ihn um sie. Er war überrascht, wie leicht sie war, als er sie zu seinem Pferd trug. Er hob sie in den Sattel und hielt sie dort fest, während er sich auf das Pferd hinaufschwang.
Es war ein langer Ritt bis zu seiner Plantage.
Nicole versuchte, sich gerade aufzusetzen, um den Kontakt mit ihm zu vermeiden. Selbst in ihrem erschöpften Zustand konnte sie seinen Haß spüren.
»Lehnen Sie sich zurück. Entspannen Sie sich. Ich verspreche, daß ich Sie nicht beißen werde.«
»Nein«, flüsterte sie, »Sie hassen mich nur. Sie hätten mich den Wölfen überlassen sollen. Es wäre das Beste für uns alle gewesen.«
»Ich sagte Ihnen schon, daß es keine Wölfe waren. Und ich hasse Sie nicht. Glauben Sie, ich hätte mir die Mühe gemacht, nach Ihnen zu suchen, wenn ich Sie haßte? Nun lehnen Sie sich endlich zurück.«
Die Arme, mit denen er sie umfaßte,
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