Geliebter Tyrann
Vielleicht hat sie sich von jemand nach Arundel Hall zurückbringen lassen.«
Clay wandte sich Travis zu. »Nein, verdammt noch mal! Wir haben uns nicht gestritten. Sie hätte die Party nie verlassen, ohne mir erst Bescheid zu sagen.«
Travis legte eine Hand auf Clays Schulter. »Vielleicht ist sie im Wald, sammelt Walnüsse und vergaß dabei die Zeit.« Seine Stimme verriet, daß er an diese Möglichkeit genausowenig glaubte wie Clay. So wie er Clays neue Frau einschätzte, war sie eine vernünftige, rücksichtsvolle junge Dame. »Horace«, sagte er leise, »bring die Hunde.«
Clay wandte sich zum Haus zurück. Nur so konnte es ihm gelingen, seine Wut zu beherrschen. Er war wütend auf sich selbst, weil er sie auch nur für eine Minute aus den Augen gelassen hatte, und wütend auf sie, daß sie ihm nun aus irgendwelchen Gründen wieder entrissen war. Doch am schlimmsten war seine Wut auf seine Hilflosigkeit. Sie konnte nur zehn Schritte von ihm entfernt sein oder fünfzig Meilen, und er hatte keine Ahnung, wo er zuerst nach ihr suchen sollte.
Niemand achtete auf Bianca, die lächelnd abseits stand, einen vollen Teller in der Hand. Ihr Werk war jetzt getan, und sie konnte zufrieden nach Hause gehen. Sie hatte es satt, daß die Leute sie dauernd fragten, wer sie wäre und warum sie in Clays Haus wohne.
Die Hunde waren zunächst verwirrt von den Spuren so vieler Leute. Sie schienen Nicoles Fährte überall zu finden, und vermutlich irrten sie sich da auch nicht.
Während Horace mit den Hunden arbeitete, begann Clay, die Leute auszufragen. Er sprach selbst mit jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind auf der riesigen Plantage. Doch das Ergebnis war immer dasselbe - niemand konnte sich daran erinnern, sie an diesem Morgen gesehen zu haben. Einer von den Sklaven sagte, er habe ihr ein paar Rühreier serviert; konnte sich aber nicht entsinnen, was sie danach getan habe.
Als es dunkel wurde, trugen die Männer brennende Fackeln in die Wälder. Vier Männer fuhren mit ihren Schaluppen den Fluß hinauf und hinunter und riefen nach Nicole. Man suchte das andere Flußufer ab; doch dort fand man keine Spur von ihr.
Als der Morgen anbrach, kamen die Männer nacheinander wieder ins Haus zurück. Sie wichen Clays brennendem Blick aus.
»Clay!« rief eine Frau und rannte zu ihm.
Sein Kopf ruckte hoch, und er sah Amy Evans, die ihr Häubchen über dem Kopf schwenkte, während sie vom Landungssteg heraufrannte.
»Ist es wahr?« fragte Amy. »Wird deine Frau vermißt?«
»Weißt du etwas von ihr?« forschte Clay. Seine Augen saßen tief in ihren Höhlen, sein Gesicht war mit Bartstoppeln bedeckt.
Amy drückte die Hand gegen die Brust. Ihr Herz klopfte von der Anstrengung des Laufens. »Gestern abend kam ein Mann in unser Haus und fragte, ob wir deine Frau gesehen hätten. Ben und ich sagten, das hätten wir nicht; doch heute morgen beim Frühstück sagte Deborah, meine Älteste, sie habe Nicole mit Abraham Simmons unten bei der Mole gesehen.«
»Wann?« fragte Clay und faßte die kleine, volleibige Frau bei den Schultern.
»Gestern morgen. Ich schickte Deborah zur Schaluppe zurück, damit sie nachsehen sollte, ob wir unsere Schals dortgelassen hatten, weil es uns zu kalt wurde ohne sie. Sie sagte, sie habe Abe gesehen, der Nicoles Arm gepackt hielt und sie zum Fluß hinunterführte. Sie sagte, sie habe Abe nie gemocht, wollte sich von ihm fernhalten und ging deshalb nur zu unserer Schaluppe, nahm die Schals und drehte sich nicht mehr um.«
»Hat sie gesehen, wie Nicole in das Boot der Simmons stieg?«
»Nein, nichts. Die großen Zypressen versperrten ihr die Sicht, und Deborah wollte so schnell wie möglich zu den Pferderennen zurück. Sie hatte sich nichts dabei gedacht, und es fiel ihr auch erst wieder heute morgen beim Frühstück ein, als Ben und ich über das Verschwinden deiner Frau redeten.«
Clay starrte die Frau an. Wenn Nicole in das Boot gestiegen war, dann war sie auch noch am Leben. Sie war nicht ertrunken, wie er das bereits befürchtet hatte. Und es konnte hundert Gründe geben, warum sie mit Abe Simmons gegangen war. Ein Mann brauchte nur zu sagen, daß jemand ihre Hilfe benötigte, und schon würde sie mit ihm gehen.
Clays Hände krampften sich um Amys kräftige Schultern. Dann beugte er sich hinunter und gab ihr einen schallenden Kuß auf den Mund. »Vielen Dank«, hauchte er, und seine Augen bekamen wieder etwas Farbe.
»Keine Ursache, Clay«, sagte Amy lachend.
Clay ließ sie los und drehte sich
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