Geliebter Vampir (German Edition)
gewesen, hätte sie ihn nicht geliebt. Bei Helen hatte es sich anders verhalten.
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Nach dem nächtlichen Weggang von ihrer Familie wohnte Helen für eine Weile in den zwei Räumen über ihrer Praxis am Rand des French Quarters. Die Umstände waren primitiv. Trotzdem gefiel es Helen. Sie stürzte sich in die Arbeit, um ihr Herzeleid zu verwinden, und ging ganz darin auf. Von den Bewohnern des armen Viertels, in dem sich die allgemeinärztliche Praxis befand, e r fuhr sie die höchste Wertschätzung.
Reich wurde sie nicht, verdiente jedoch ihren Lebensunte r halt. Mangelnde Hygiene, Voodoo, Dummheit, Gleichgültigkeit, Aberglauben und Ignoranz störten sie. Helen führte einen harten Kampf dagegen, in dem sie Siege erfocht, allerdings auch Niederlagen hinnehmen musste .
Sie verlor die Illusion, dass die Armen bessere Menschen se i en. Bei ihnen gab es genauso viel Habsucht und Neid sowie Ausbeutung und Unterdrückung wie bei den Reichen auch. Sie hatten nur weniger Gelegenheit, um das auszuleben. Alles in allem war Helens Leben am Rand des French Quarters sehr romantisch. Viele Farbige suchten die Praxis auf. Sie hatten die junge Ärztin ins Herz geschlossen.
Helen mochte New Orleans und die Menschen dort, ein buntes Vö l kergemisch. Louisiana war lange Zeit eine französische Kolonie g e wesen, wie schon der Name sagte, der auf den König Louis zurückz u führen war.
Die Franzosen hatten Louisiana sowie New Orleans stark g e prägt mit ihrer Lebensart. Nach wie vor gab es viele französische und französischstämmige Familien dort. Dazu gehörten auch die Dubois, Allan und Robert. Lange Zeit hatte man sich innerhalb des Bau m wollpflanzeradels der Südstaaten nur mit Franz ö sisch hervorragend verständigen können.
Der spanischen und französischen Mentalität war es entgegeng e kommen, in Herrenhäusern zu sitzen und schwarze Sklaven auf den Baumwollfeldern die Arbeit erledigen zu lassen. Hier hielt man Siesta, feierte gern und pflegte eine ganz andere Lebensart als die Menschen im industriegeprägten, kalten Norden und an der Os t küste.
Allan Dubois hatte sich nach der Kapitulation des Südens rasch erholt. Er sah seine Chancen und nutzte sie mit zähem Erfolgswi l len, gepaart mit Intelligenz und guten Verbi n dungen. Rasch brachte er ein größeres Vermögen zusammen, als seine Familie es jemals z u vor besaß. Ein so erfolgreicher Mann hatte natürlich auch viele Nieder. Allan und sein Bruder Robert waren die einzigen noch l e benden Sprosse der Familie Dubois. Unterschiedlichere Brüder kon n te man sich kaum vorstellen.
Robert, der Ältere, trank viel mehr, als es ihm gut tat . Er b e saß nur einen Seelenverkäufer von Flu ss dampfer, der bis zur letzten Planke verschuldet war. Er verkehrte mit zweifelhaften Frauenzi m mern und schien seinen ganzen Ehrgeiz darin zu sehen, sich und das Familienrenommee endgültig zu zerstören. Er war zynisch und fürc h tete nichts und niemand.
Ein Mann, dem man besser aus dem Weg ging und mit dem wenige gern verkehrten. Ganz anders war Allan, der um vier Jahre jü n gere Bruder. Blendend aussehend, hochintelligent, verbindlich in seiner Art. Er war so charmant und redegewandt, dass er einem Baum die Borke herunterschwatzen konnte, wie die Redensart sagte. Er b e herrschte vier lebende und zwei tote Sprachen, konnte höhere M a thematik, Arithmetik und kannte sich mit der Astronomie genauso gut aus wie mit der Pferdezucht.
Selbstverständlich verstand er sehr viel von Geschäften. Er vermochte sich seine Zeit erstklassig einzuteilen, konnte gut mit Menschen umgehen, ritt wie ein Zentaur, schwamm wie ein Fisch, focht erstklassig, war ein prima Schütze. Er war eigen t lich, sagte Helen sich hinterher, viel zu gut und zu schön um wahr und echt zu sein.
Die Frauen hatten ihn immer umschwärmt. Im Nachhinein wu n derte Helen sich nicht, dass sie ihn an eine andere verloren hatte. Pei n lich war nur, dass es sich dabei um ihre jüngere Schwester hande l te. Die beiden heirateten schon ein knappes Vierteljahr nach der Verlobung. Blanche ließ die erstklassige Partie nicht mehr los, die sie in ihren zarten manikürten Fi n gerchen hielt wie die Katze die Maus in den Krallen.
Helen blieb der Verlobung und auch der Hochzeit demonstrativ fern. Sie lehnte den näheren Kontakt mit ihrer Familie ab und sprach mit Blanche überhaupt kein Wort. Sie sah sie auch nicht. Ihre Mutter und Tante Pitty behaupteten, das würde ihnen das Herz brechen. Helen reagierte
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