Geliebtes Monster
die Welt oft genug ganz anders aus, dann konnte er sich als Held fühlen.
Irgendwo bin ich das auch, redete er sich ein. Ich bin zu einem Helden gemacht worden. Durch den Auftritt in der Sendung bin ich ein TV-Held geworden.
Sonst hatte er immer die Leute beneidet, die im Fernsehen auftraten.
Heute war er der Star, nur schade, daß ihn kaum jemand erkannte.
Vielleicht hatten ihn ja die Kumpane in der Kneipe gesehen.
»He, wohin muß ich?« Die Stimme des Fahrers unterbrach seine Gedanken.
»Wir sind auf dem richtigen Weg.«
»Wohin genau?«
»Fahr erst mal geradeaus. An dem alten Turm mußt du dich rechts halten. Dann sage ich dir Bescheid.«
»Ist gut, aber schlaf nicht ein, Mann.«
»Keine Sorge.«
Der Fahrer traute dem Braten nicht so recht und wollte wissen, was Mehmet beim Sender gemacht hatte.
Er bekam die Antwort, und die Stimme des Fahrgastes hatte dabei stolz geklungen.
»Ach so, bei Tabea warst du. Die kenne ich. Die ist gut, wie?«
»Ja, ich finde sie auch sympathisch.«
Es dauerte ungefähr noch zehn Minuten, dann stoppten sie vor dem Lokal. Im Sommer nahmen die Gäste ihr Bier oft mit nach draußen. Zu dieser kühlen Jahreszeit stand niemand vor dem Laden.
»Dann gib mal damit an, daß du im Fernsehen warst«, sagte der Fahrer, bevor Mehmet die Tür zuschlagen konnte.
»Mich hat hier keiner gesehen.«
»Dein Pech, Junge.«
Der Mann gab Gas und fuhr davon. Mehmet schaute den Rücklichtern hinterher. Ein Frösteln durchlief ihn. Die kühle Luft schien sich an und in ihm festzusaugen. Er schauten seinem kondensierten Atem nach, der von den Lippen flatterte, streckte sich und betrat die Kneipe noch nicht.
Einige Schritte ging er noch weiter, bis er neben einer Plakatsäule stehenblieb. Er schaute sich die Plakate an. Ein Rocksänger pries seine Veranstaltung an.
Allein in der nächtlichen Kühle kam sich Mehmet schon ziemlich verlassen vor. Der Himmel lag nicht mehr so hoch über ihm; die Wolken drückten und schienen sich in die Straßen stürzen zu wollen. Mehmet fror, und er wunderte sich darüber, daß er sich überhaupt nicht glücklich fühlte. Er hätte happy sein können. Statt dessen hielt ihn das Gefühl der Furcht umklammert, und er merkte am kalten Rieseln auf seinem Rücken, daß so etwas wie eine dumpfe Vorahnung auf ihn zukam. Da hatte Mehmet seine Erfahrungen sammeln können. Immer dann, wenn er grundlos das Gefühl hatte, zur Toilette zu müssen, sah die Zukunft nicht günstig aus.
Die Kneipe lockte. Sie bot zwar nur eine trügerische Sicherheit, dort aber kannte er die Gäste, den Wirt und auch dessen Tochter, die hin und wieder bediente.
Lärm hallte ihm nicht entgegen. Die graue Tür war geschlossen. Licht fiel durch die schmutzigen Scheiben nach draußen auf den Gehsteig.
Mehmet drehte sich schnell um, stieß die Tür ruckartig auf und trat ein in die andere Welt.
War es ihm draußen zu kalt gewesen, so spürte er die bullige Hitze wie einen Schlag. In sie hinein mischte sich der Geruch aus Rauch und Bier.
Aus einem Radio dudelten Melodien, denen keiner zuhörte, denn die wenigen Gäste hockten wie eingefroren an den Tischen oder standen statuengleich an der Theke.
Hinter ihr hantierte Stacy, der Wirt. Ein Monument, ein Denkmal aus Muskeln und Fleisch war er früher gewesen, als er noch im Catchring Triumphe gefeiert hatte. Killer-Stacy nannte er sich damals. Heute killte er nur noch Bierfässer, und aus seinem straffen Körper war eine wabbelige Fleischmasse geworden. Er trug eine flache Mütze auf dem Kopf. Darunter sah sein Gesicht aus wie ein breites Stück Fett, in das Augen, Nase und Mund hineinmodelliert worden waren. Seine Ohren sahen klein und verknorpelt aus. Sie hatten zahlreiche Schläge einstecken müssen.
»Auch wieder da, Mehmet?«
»Ja.« Der Mann enterte einen Hocker. »Ich brauche erst mal einen Brandy und danach ein Bier.«
»Kriegst du als TV-Star.«
»Oh, du weißt Bescheid?«
»Durch meine Tochter.«
»Dann hat sie mich gesehen?«
»Klar doch, die sitzt immer vor der Glotze.«
»Und? Was sagt sie?«
»Sie mußte lachen.« Mehmet schwieg.
Lächerlich war er sich nicht vorgekommen, aber er wollte den Grund wissen, fragte nach und sah, wie der Wirt die Schultern anhob. Er kriegte seinen Brandy, kippte ihn, dann wurde ihm das Bier hingeschoben, und die Antwort machte ihn auch nicht glücklich.
»Nun ja, sie meinte, daß die Sache wohl etwas übertrieben gewesen ist. Die mit dem Monster.«
»Noch einen«, sagte Mehmet und schob das
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