Geliebtes Monster
abgelenkt zu werden.
Gegen elf Uhr schaltete sie meist das Telefon ein, das wußten auch ihre Kollegen, Freunde und Bekannte. Vor dieser Zeit hätten sie sie auch nicht besucht.
An diesem Morgen war es anders. Sie wußte nicht, wie spät es war, als sie durch das Geräusch der Klingel gestört wurde. Hätte sie so fest geschlafen wie sonst, dann hätte sie auch diesen schrillen, sägenden Ton überhört, doch die letzte Talk-Show hatte sie irgendwie mitgenommen und unruhig gemacht, was an diesem Mehmet lag, der so etwas Schreckliches gesehen haben wollte.
Das Geräusch blieb. Da konnte sie sich noch so oft wütend auf die Seite wälzen und schimpfen. Wer immer auch vor der Tür stand, er ließ nicht locker.
»Scheiße!« Mit diesem Fluch auf den Lippen fuhr Tabea in die Höhe, öffnete die Augen, sah nichts und riß erst mit einer wütenden Bewegung die Schlafbrille weg.
Sie blieb aufrecht im Bett sitzen und konzentrierte sich auf die leichten Kopfschmerzen, die im Nacken ihren Ursprung hatten und sich weiter nach vorn in Richtung Stirn bewegten. Das kannte sie, das war immer so, wenn man sie so plötzlich aus dem Schlaf riß.
In der Wohnung war es ruhig, denn das Klingeln war verstummt.
Dafür gab es zwei Gründe. Entweder hatte der Besucher aufgegeben, oder er wartete zunächst einmal ab und würde es nach einer gewissen Weile erneut versuchen.
So war es dann auch. Wieder sägte die Klingel mit diesem schrecklichen Geräusch durch ihr Bewußtsein, und Tabea kam nicht umhin, den Besucher zu verfluchen.
Sie stand aber auf.
Tageslicht sickerte grau durch die Lamellenschlitze ins Schlafzimmer. Es breitete sich auf dem Bett aus und ebenfalls auf dem Boden.
Bis zur Tür reichte es nicht. Die stand offen, und Tabea trat hinaus in den kleinen Flur, nachdem sie einen cremefarbenen Morgenrock über ihr kurzes Nachthemd gestreift hatte.
Ihre Wohnung war klein, aber für eine Person ausreichend. Um irgend etwas zu erreichen, brauchte sie immer nur wenige Schritte zu gehen, so auch jetzt, um an die Wohnungstür zu gelangen. Die war mit einem Guckloch ausgestattet, mit einer Sperrkette versehen, und Tabea schaute zunächst durch die Optik.
Dahinter sah sie das Gesicht eines ihr fremden Mannes. Schon beim ersten Blickkontakt mußte sie zugeben, daß dieser Mann verdammt gut aussah. Sein dunkles Haar war zurückgekämmt, er trug eine teure Lederjacke und darunter einen blauen Pullover.
Tabea öffnete die Tür nur einen Spalt, bis die Kette spannte.
»Was wollen Sie?«
Der Mann trat zurück. Er lächelte. »Gut, daß ich Sie treffe, Mrs. Torny. Ich dachte schon, Sie wären nicht zu Hause.«
»Was gibt es so Wichtiges?«
»Der Sender…«
»Moment mal, Mister. Im Sender weiß man genau, daß ich um diese Zeit nicht gestört werden will.«
»Stimmt, aber es gibt Ausnahmen.«
»Und wie sieht diese Ausnahme aus?«
»Es geht um Ihre Talk-Show.«
»Um welche bitte?«
»Um die von gestern abend.«
Tabea konnte nicht vermeiden, daß ihr das Blut in den Kopf schoß. Sie wußte sofort, daß es etwas mit Mehmets Auftritt zu tun hatte und bekam wenig später die Bestätigung durch ihren Besucher.
»Sie wissen, daß Sie einen besonderen Gast in Ihrer Sendung hatten, Mrs. Torny…«
»Mehmet, meinen Sie?«
»Ja.«
»Was ist mit ihm?«
»Er ist tot!«
Tabea hatte die drei Worte genau verstanden und erbleichte auf der Stelle. Plötzlich raste ihr Herz wie verrückt. Sie merkte, daß ihre Hände feucht wurden. »Wieso tot?« hörte sie sich fragen und wurde unsicher auf den Beinen.
Der Mann hob bedauernd die Schultern. »So genau weiß ich es nicht, Mrs. Torny. Ich bin auch nur ein Bote, der Sie zum Sender fahren soll.«
»Was ist da?«
»Dort wartet die Polizei.«
»Warum denn?«
»Sie führt Verhöre durch. Da Sie eine der Hauptpersonen sind, sollen auch Sie aussagen.«
Tabea schwieg. Noch immer kam es ihr vor, als stünde zwischen ihr und dem Mann eine dicke Wand, die sie mit Worten kaum durchdringen konnte. Sie wußte nicht mal, was sie noch denken sollte. So wie sie mußte sich jemand fühlen, der plötzlich den Boden unter den Füßen verloren hatte.
»Was ist mit Ihnen?« fragte der gutaussehende Mann besorgt.
»Nichts«, flüsterte sie. »Eigentlich nichts. Ich bin nur etwas überrascht.«
»Das merke ich.«
Tabea strich über ihr kurzes, hellblondes Haar. »Wann soll ich kommen?«
»Sofort. Ich bin hier, um Sie abzuholen.«
»Ah so, ja.«
»Wollen Sie mich nicht in die Wohnung lassen? Ich meine,
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