Gelinkt
sie.
Ein weiteres langes Schweigen. »Laß mich nur machen, Liebes. Bernard wird eingeladen werden und du und die Kinder mit ihm.«
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»Danke, Silas.«
»Keine Ursache. Ist mir ein Vergnügen.«
Sie legte den Hörer auf. Als sie nach unten blickte, um zu sehen, was sie da zertrat, stellte sie fest, daß sie Aspirintabletten und andere Pillen in den goldfarbenen Teppich getreten hatte. Sie betrachtete die Schweinerei; sie machte sich Sorgen um Tessa. In welchem Grade war sie mitverantwortlich für das, was aus Tessa geworden war? Fiona war immer der älteste Sohn gewesen, hatte immer ohne Mühe die besten Noten erzielt und ein Verhältnis zum Vater gehabt, wie Tessa es nie gekannt hatte. Obwohl sie der Liebling ihres Vaters war, hatte dieser sie nie ins Vertrauen gezogen, denn seine Geschäfte hielt er geheim. Zu diesem Zweck beschäftigte er verschiedene Buchhalter und Rechtsanwälte, damit keiner sich ein vollständiges Bild seiner Aktivitäten machen konnte. Doch nahm er Fiona mit ins Büro und stellte sie den Angestellten vor, und es schien ein stillschweigendes Übereinkommen zu geben, dem zufolge Fiona eines Tages ihren Vater ablösen würde.
Es kam natürlich nie dazu. Fiona ging auf die Universität und glänzte dort. Es gefiel ihr in dieser Männerwelt. Und dann wurde sie dort für den männlichsten aller männlichsten Dienste angeworben, jene mystische und exklusive britische Bruderschaft, mit zweischneidigem Namen und zutiefst geheimem Zweck. Die Besessenheit, mit der ihr Vater bemüht war, seine Geheimnisse zu wahren, hatte sie auf den Secret Intelligence Service vorbereitet, aber mit diesem konnte nichts, was der Vater ihr von seiner Geschäftswelt gezeigt hatte, konkurrieren. Und als sie in dieser Bruderschaft einen Mann fand, der ganz anders war als alle, die ihr bisher begegnet waren, wollte sie diesen und bekam ihn. Bernard Samson war in dieser geheimen Welt körperlicher Härte und Brutalität groß geworden. Einer Welt, in der man tötet und getötet wurde.
Viele Freunde ihres Vaters hatten im Krieg gedient, manche
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waren als Helden ausgezeichnet worden, aber Bernard Samson war gänzlich anders als diese, denn sein Krieg war ein dunkler, schmutziger, privater Krieg. Hier endlich war ein Mann, den ihr Vater nicht ergründen konnte und von Herzen verabscheute.
Wenn aber, wie Chandler sagte, »diese armseligen Wege ein Mann gehen muß, der selbst nicht armselig ist, der weder besudelt noch furchtsam ist … ein vollständiger Mann, ein alltäglicher Mann und doch ein ungewöhnlicher Mann«, dann war Bernard Samson ein solcher Mann. An dem Tag, an dem sie ihn zum ersten Mal sah, wußte sie, daß es unerträglich sein würde, ihn an eine andere zu verlieren. Fiona heiratete, und Tessa, vernachlässigt und verunsichert, verlor den Boden unter den Füßen; ein Opfer der Karrieresucht ihrer Schwester und der Gleichgültigkeit ihres Vaters. Die arme Tessa, was hätte aus ihr werden können, wenn Fiona sie beschützt und sie beraten hätte und ihr gegeben, was sie brauchte?
»Alles in Ordnung?« rief Tessa aus dem Nebenzimmer.
»Ich komme, Tessa. Es wird schon alles noch in Ordnung kommen. Ich verspreche es dir, ich kümmere mich darum.«
Tessa kam zu ihr. »Ich wußte es, Fi.« Sie warf die Arme um Fionas Hals und küßte sie. »Liebste, herzallerliebste, wunderbare Fi. Ich wußte es.«
Solche Gefühlsausbrüche waren Fiona unbehaglich, aber sie stand stocksteif da und ließ sich’s gefallen.
Wären die Umstände der Einladung zu dem Besuch bei Silas andere gewesen, Fiona Samson hätte jeden Augenblick des Wochenendes, das sie mit ihrem Mann und ihren Kindern in Whitelands, dem Landgut, auf das Silas Gaunt sich zurückgezogen hatte, verbrachte, unbeschwert genossen. Die sechshundert Morgen Land boten Gelegenheit zu den schönsten Spaziergängen und atemberaubende Aussichten über das mächtige Kalksteinplateau am Ufer des leuchtenden Severn. Aber unter den gegebenen Umständen drohten überall Sorgen und Gefahren. Dicky Cruyer, der unternehmende Leiter
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der Deutschland-Abteilung, und dessen künstlerisch angehauchte Frau Daphne waren da. Bret Rensselaer hatte ein blondes junges Mädchen mitgebracht. Eingeschüchtert von der ihr fremden Gesellschaft klammerte sie sich an ihn, so fest, daß die einzigen beiden Schlafzimmer mit einer Verbindungstür an diese beiden vergeben worden waren. Fiona vermutete, daß Bret das verlangt hatte, denn als sie Silas fragte, ob nicht
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