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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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setzt ihr euch an eure Schularbeiten.« Sie drehte sich um. »Ich verlasse mich auf dich, Tessa.«
    In beseligter Einstimmigkeit erklärten die Kinder ihre Absicht, unter Tante Tessas Anleitung hart zu arbeiten. Sally ging auf ihre Mutter zu und drückte ihr die Hand, als wollte sie diese ihrer Liebe versichern. Billy zog Regenmantel und Schal an, ohne Zeit zu verschwenden. Als Tessa mit den Kindern verschwand, hörte Fiona, wie Billy ihrer Schwester erklärte:
    »Wenn die Russen die Monarchie wieder einführen, brauchen sie einen roten Zaren.« Das war sein Lieblingswitz, seitdem Silas darüber gelacht hatte.
    Tessa hatte recht. Fiona brauchte ein wenig Zeit für sich selbst. Sie mußte so vieles bedenken. Sie fand einen alten Regenmantel und einen Männerhut in der Garderobe und

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    marschierte in ihren Wanderschuhen los, die hinten in ihrem geliebten roten Porsche immer parat lagen. Durch den nebligen Regen machte sie sich auf den Weg zum Gipfel des Ringstone Hill oberhalb von Singlebury. Es waren etwa sechs Meilen dorthin, und sie schritt aus mit der Entschlossenheit, die sie auch in anderen Fällen zeigte. Sie kannte den Weg, sie war ihn schon oft gegangen, manchmal mit der ganzen Familie, manchmal nur mit Bernard. Sie erfreute sich am Anblick der Gatter, Bäche und Hecken, die so vertraut waren wie die Gesichter alter Freunde, selbst wenn einzelnes sich verändert hatte: frische Stellen weichen Morastes, ein blitzendes neues Vorhängeschloß oder der rostige Rahmen eines verlassenen Fahrrads. Die Grenzen von Whitelands markierten sechs gestürzte Tannen, Opfer der Winterstürme. Bäume mit flachen Wurzeln mußten, wie ihre menschlichen Pendants, immer zuerst dran glauben. Sie betrachtete eine der Tannen. Aus der faulenden Rinde streckten Primeln ihre kanariengelben Blüten.
    Sie zählte die Blütenblätter, wie sie’s als Kind getan hatte: fünf, sechs, manchmal acht Blütenblätter. Verschieden wie Menschen. Sie hatte als Kind gelernt, daß vierblättrige Primeln Glück brachten. Heute fand sie keine. Bernard hatte ihr erklärt, daß vierblättrige Primeln für die Kreuzbefruchtung notwendig seien. Sie wünschte, er hätte das nicht getan. Sie ging weiter und watete durch einen breiten, plätschernden See von Glockenblumen, ehe der Weg wieder anstieg. Keine Überraschungen, nur die Erwartung vor jeder großartigen Aussicht.
    Das Licht änderte sich dauernd. Die nassen Felder wurden immer strahlender unter dem nieselnden dunkelgrauen Himmel, und der hellgelbe Ginster erfüllte die Luft mit seinem Duft. Sie erkletterte die nackte Kuppe des Hügels – der Ringstone ist nur dem Namen nach ein Stein – und hielt atemholend inne. Sie hatte den Wind bisher nicht bemerkt, aber jetzt trieb er ihr den leichten Regen stechend ins Gesicht und

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    summte leise im Drahtzaun. Sie drehte sich langsam und ließ den Blick in die Runde schweifen. Ihr Reich:
    dreihundertundfünfundsechzig Grad und kein Mensch, nicht einmal ein Haus in Sicht, nur der ferne Aufruhr eines Krähenschwarms, der sich für die Nacht einrichtete. Im Norden befestigten schwarze Säulen schweren Regens den Himmel.
    Die Anstrengung des Aufstiegs hatte ihr jeden Gedanken an die denkbaren beunruhigenden Ergebnisse der morgigen Besprechung mit Silas Gaunt ausgetrieben. Aber jetzt jagten ihre Gedanken wieder voraus.
    Sie war keine Forscherin, und Experimente waren nicht ihre Sache. Fionas Gehirn leistete das Beste bei der Auswertung von Material und der Planung von dessen Verwendung. Diese Fähigkeit ermöglichte es ihr, ihre eigene Begabung für den praktischen nachrichtendienstlichen Einsatz sehr treffend zu beurteilen. Verschwiegenheit besaß sie im Überfluß, aber viele der Eigenschaften, die sie an Bernard beobachtete, fehlten ihr.
    Sie hatte nicht dessen in praktischer Erfahrung erprobte ständige Geistesgegenwart, die ihm erlaubte, schnell zu entscheiden und sofort zu handeln. Fiona konnte gehässig, hartnäckig und kaltherzig sein, aber für sie waren das dauerhafte Emotionen. Bernard hatte diese geheimnisvolle männliche Fähigkeit, bei Bedarf von einem Augenblick zum anderen kaltblütige Feindseligkeit anzuschalten und sie einen Bruchteil einer Sekunde später wieder abzuschalten. Sie zog sich den Hut über die Ohren. Der Himmel wurde schwärzer und der Regen stärker. Sie mußte rechtzeitig wieder im Haus sein, um vor dem Essen noch zu baden und sich umzukleiden.
    Onkel Silas erwartete, daß man sich zum Dinner in Schale warf. Sie

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