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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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sie einmal nicht mit ihrer Arbeit beschäftigt war oder sich bemühte, ihr Deutsch und ihr Russisch zu verbessern, fand sie manchmal Zeit, über die Gründe ihrer gegenwärtigen verzweifelten Lage nachzudenken. Sie verwarf die analytische Vergangenheitsbewältigung, jenes Psychologen und Romanschriftstellern gleichermaßen teure Schlußverfahren, das ihr zweifellos gestattet hätte, eine gerade Kette von Ursachen und Wirkungen aufzubauen, angefangen von ihrem autoritären Vater über die Internatserziehung, ihre geheimdienstliche Tätigkeit und deren Apotheose in dieser Annahme eines anderen Lebens. So war das nicht gelaufen. Die Fähigkeit, diese Rolle zu spielen, hatte sie sich in harter Arbeit erworben. Dieser Teil ihrer Krankheit war keine Offenbarung irgendeines Bruchs in ihrer Persönlichkeit.
    Sie hatte sich aus der Lage jenes kleinen Mädchens, das zitternd vor Furcht ins Internat gegangen war, nicht durch Teilnahme an rebellischen Demonstrationen befreit, sondern insgeheim. Deshalb war die Verwandlung so vollkommen. Sie war tatsächlich ein anderer Mensch geworden. Obwohl sie das niemals einer lebenden Seele gestehen würde, hatte sie jener abgebrühten Person, die jeden Morgen in der Karl-LiebknechtStraße zum Dienst antrat und schwer für den deutschen sozialistischen Staat schuftete, sogar einen Namen gegeben: Die fragliche Person war Stefan Mittelberg – den Namen hatte sie sich aus dem Telefonbuch zusammengestückelt –, einen männlichen Namen natürlich, denn im Büro mußte sie ihren Mann stehen. »Los, los, Stefan«, pflegte sie sich jeden Morgen zu ermahnen. »Zeit zum Aufstehen.« Und wenn sie sich vor dem Spiegel das Haar bürstete, wie sie’s jeden Morgen tat, sah sie aus dem Spiegel mit harten Augen Stefan an. War »Stefan« eine Offenbarung emotionalen Wandels? Eine Verhärtung? Eine Befreiung? Oder war Stefan derjenige, der spontan diese Liebesaffäre mit Harry Kennedy angefangen hatte? Wie wäre anders eine so vollkommen aus der Rolle fallende Handlungsweise erklärlich? Nun, Stefan war ein blendender Erfolg. Ärgerlich war nur, daß sie Stefan verabscheute. Aber egal, mit der Zeit würde sie vielleicht lernen, dieses neue hartgesottenere Selbst zu lieben. Im Büro bemühte sie sich, der perfekte Apparatschik zu werden, die Sorte Chef, für den ein Mann wie Renn würde arbeiten wollen. Aber sie war Ausländerin und noch dazu eine Frau, und manchmal brauchte sie Renns Hilfe und seinen Rat, um sich in den verschlungenen Intrigen des Büros zurechtzufinden. »Wie lange wird der neue Mann hier arbeiten?« fragte Fiona Renn eines Tages, während sie Schachteln voller Papiere verstauten und einen blitzblank aufgeräumten Schreibtisch feierten. Renn sah sie an, erstaunt, sie so unschuldig und uninformiert zu finden. Zumal Fiona die russische Auszeichnung nun bewilligt worden war. Man hatte sie ihr im Rahmen einer kleinen Zeremonie in der Zentrale an der Normannenstraße überreicht. Ein Teil des Glanzes war auch auf Renn gefallen. »Neuer Mann?« sagte er. Niemals stürzte er sich in solche Unterhaltungen. »Der Junge … gelbes, welliges Haar …« Sie hielt inne. »Was habe ich gesagt?«
    Renn fand ihre Unwissenheit zugleich erschreckend und rührend. Jeder sonst im Gebäude hatte gelernt, einen Offizier des Moskauer politischen Sicherheitsdienstes zu erkennen. »Meinen Sie Leutnant Bakuschin?« fragte er.
»Ja. Weshalb ist er hier?«
     
»Er war einer der mit der Moskwin-Untersuchung befaßten
    Offiziere.«
»Moskwin-Untersuchung? Pawel Moskwin?«
»Aber ja. Sie wurde letzte Woche in Moskau durchgeführt.« »Was wurde denn untersucht?«
»Seine Führung.«
»Führung?«
»Sein Verhalten. So wird das gewöhnlich formuliert.
    Natürlich sind solche Untersuchungen geheim.«
»Und wird auch das Urteil geheim verkündet?«
»Leutnant Bakuschin sucht weiteres Beweismaterial. Er
    wird wahrscheinlich auch mit Ihnen sprechen wollen.« »Aber Moskwin ist doch gerade erst zum Oberst befördert
worden.« Sie verstand noch immer nicht, was Renn ihr zu
sagen versuchte.
»Das war nur, um es ihm zu erleichtern, während seines
Aufenthalts in London den Leuten von der Botschaft
Anweisungen zu geben. Hier nimmt man den Rang nicht so
wichtig wie im Westen. Was hier die Autorität eines Mannes
ausmacht, ist sein Auftrag.«
»Und Leutnant Bakuschins Auftrag verleiht ihm große
Autorität?«
»Leutnant Bakuschin könnte, ohne besondere Genehmigung
aus Moskau, jeden hier im Gebäude verhaften und

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