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Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
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seine Abenteuer ihm wenig Befriedigung,
weder sexuelle noch anderweitige.
Aus der Nachbarwohnung ertönten plötzlich Klavierklänge.
Die Häuser waren winzig – vor hundert Jahren für die
Landarbeiter der Güter von Kent gebaut – , und die Wände
waren dünn. Das Spiel begann mit jenem grandiosen Wühlen
in den Tasten, mit dem Kneipenpianisten zur Eröffnung ihrer
Darbietungen Eindruck erwecken wollen, dann löste es sich in
der Melodie eines Liedes aus dem Ersten Weltkrieg auf, The
Roses of Picardy. Das muntere Geklimper bestärkte Fiona in
dem Gefühl, das sie schon seit einer Weile irgendwie in eine
frühere Zeit zurückversetzte, wo sie, gefangen in der Vergangenheit, abwartete. Es war die lange und vielversprechende Frühlingszeit der ersten Jahre des Jahrhunderts, in der sich niemand hatte vorstellen können, daß es jemals kalt werden würde. Nichts wies daraufhin, daß sie nicht in diesem Wohnzimmer zu King Edwards Zeit saßen, im Jahre 1904 vielleicht, als Europa noch jung und unschuldig war, als die Londoner Omnibusse noch mit Pferden bespannt und die HMS Dreadnought noch ungebaut waren, als der permanente Oktober Rußlands noch in der Zukunft lag. »Sie verspäten sich nie«, sagte sie mit einem Blick auf ihre Uhr und legte sich eine Erklärung zurecht, die ihren Ehemann zufriedenstellen würde, wenn der vor ihr zu Hause wäre. »Sie haben ja selten mit ihnen zu tun«, sagte er. »Sie treffen sich ja meistens mit mir, und ich verspäte mich nie.« Sie widersprach nicht. Er hatte recht. Sie traf sich nur sehr selten mit Russen.
Das Risiko, daß die vom MI5 beschattet wurden, war zu groß. »Nimmt man aber mal Kontakt mit ihnen auf, passiert
gewöhnlich, was wir jetzt erleben.« Er genoß es, zeigen zu
können, wie wichtig er für die Kontakte mit Russen war. Ob
sie wollte oder nicht, sie machte sich Sorgen um diesen
Russen, der versucht hatte überzulaufen. Er hatte gesehen, daß
sie allein war, und sich ihr, wie es schien, einer plötzlichen
Eingebung folgend, genähert. Wollte der KGB ihr eine Falle
stellen? Sie hatte ihn nur dieses eine Mal gesehen, aber er
schien ein so anständiger und aufrichtiger Mann zu sein. »Es
muß schwierig sein für jemand wie Blum«, sagte sie.
»Schwierig in welcher Hinsicht?«
»In einem fremden Land arbeiten. Jung, ohne seine Frau,
einsam. Vielleicht gemieden, weil er Jude ist.«
»Ich bezweifle das sehr«, sagte er. »Er war dritter Sekretär
des Attachés. Er genoß Vertrauen und hatte ein anständiges
Gehalt. Das kleine Schwein wollte sich nur wichtig machen.« »Ein russischer Jude mit deutschem Namen«, sagte Fiona.
»Ich frage mich, was ihn motiviert haben mag.«
»Den Trick wird er nicht noch mal versuchen«, sagte
Martin.
»Und der Attaché wird einen Anpfiff aus Moskau kriegen,
der sich gewaschen hat.« Er belächelte diese Vorstellung
zufrieden. »Alles wird über mich laufen, wie es vor Blum
üblich war.«
»Könnte das eine Falle gewesen sein?«
»Um Ihre Zuverlässigkeit zu testen? Um rauszukriegen, ob
Sie Doppelagentin sind und vielleicht doch den Herrschaften
vom SIS gehorchen?«
»Ja«, sagte sie. »Um mich auf die Probe zu stellen.« Sie
beobachtete Martin sorgfältig. Bret Rensselaer, ihr
Führungsoffizier, der dieses Doppelleben, das sie führte,
organisierte, sagte, er sei sich ganz sicher, daß Blum auf
Weisung Moskaus handelte. Selbst wenn das nicht der Fall sein
sollte, hatte Rensselaer erklärt, sei es besser, die Chance, einen
ihrer hochkarätigen Agenten zu kriegen, sausenzulassen, als sie
zu gefährden. Manchmal wünschte sie, das Leben mit der
gleichenkaltblütigen Ungerührtheit betrachten zu können, die
Bret Rensselaer an den Tag legte. Jedenfalls konnte sie seine
Interpretation der Sachlage nicht anfechten und wußte nicht
mal, ob sie’s wollte. Aber was würde nun passieren? Martin
erwog diese Möglichkeit mit listigem Lächeln. »Na, wenn’s
denn ein Test war, haben Sie den jedenfalls mit Glanz und
Gloria bestanden«, sagte er stolz.
Zum ersten Mal wurde ihr bewußt, was für eine treue Stütze
sie in Martin hatte. Martin hatte auf sie gesetzt. Seine
Hoffnungen standen und fielen mit ihr, und er würde alles eher
tun, als sich mit dem Gedanken anfreunden, daß sein
Schützling nicht der einflußreichste sowjetische Agent der
neueren Geschichte war. »Es wird allmählich spät.«
»Keine Aufregung. Sie werden Ihren Zug schon noch
schaffen. Bernard kommt heute ja wohl aus Berlin zurück,
nicht?« Sie antwortete nicht. Martin hatte

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