Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gelinkt

Gelinkt

Titel: Gelinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Len Deighton
Vom Netzwerk:
nicht das Recht, solche Fragen zu stellen, nicht mal in einem freundlichen Gespräch. Martin sagte: »Ich achte schon auf die Zeit. Machen
Sie sich keine Sorgen.«
Sie lächelte. Jetzt tat es ihr leid, daß sie ihn so angefahren
hatte. Die Russen glaubten, daß sie beide durch starke
Gefühlsbande miteinander verbunden wären. Daß Martins
onkelhafte Art ebenso wie seine unerschütterliche politische
Überzeugung wesentlicher Bestandteil ihrer Hingabe an die
Sache des Sozialismus seien. Sie wollte ihnen keinen Anlaß
geben, diese Theorie zu überprüfen.
Sie sah sich in dem winzigen Zimmer um und fragte sich, ob
Martin hier ständig wohnte oder ob dies nur ein sicheres Haus
für Begegnungen dieser Art war. Es sah bewohnt aus. Essen in
der Küche, Kohle vor dem Kamin, die geöffnete Post hinter die
Uhr geklemmt, die auf dem Kaminsims tickte, eine
wohlgenährte Katze auf der Pirsch durch den gepflegten
Garten. Ein voll aufgetakelter Klipper an der Wand hinter
geputztem Glas. Es gab Bücher hier in Hülle und Fülle. Lenin
und Marx, sogar Trotzki starrten von den Regalen im Verein
mit den von Martin verehrten Fabiern, eine Enzyklopädie des
Sozialismus sowie Rousseau und John Stuart Mill. Selbst die
geschwätzigen Werke seines Vaters hatte Martin da. Die
Tarnung war geschickt. Sogar ein Sicherheitsexperte würde
zögern, jemanden als KGB-Agenten zu identifizieren, der
solche Vertrautheit mit den Philosophien der Dissidenten,
Revisionisten und Verräter an den Tag legte. Martin war
getarnt als kauziger, altmodischer und wesentlich britischer
linker Spinner, den die Ereignisse der modernen
internationalen Politik unberührt ließen. »Es ist wegen meines
Sohnes Billy. Heute morgen war sein Rachen geschwollen«,
sagte Fiona und blickte wieder auf die Uhr. »Das
Kindermädchen sollte um diese Zeit mit ihm deswegen zum
Arzt gehen. Unsere Nanny ist ein vernünftiges Mädchen.« »Natürlich ist sie das.« Er mißbilligte Kindermädchen und andere Haussklaven. Sie erinnerten ihn an seine eigene Kindheit und riefen, wenn er an seinen Vater dachte, gemischte Gefühle in ihm wach, über die er noch immer nicht gerne
nachdachte. »Es wird schon wieder werden.«
»Ich hoffe, daß es nicht Mumps ist.«
»Ich achte auf die Zeit«, sagte er abermals.
»Guter, zuverlässiger Martin«, sagt sie.
Er lächelte und zog an seiner Pfeife. Das war, was er hören
wollte.
Es war ein langhaariger Junge, der auf einem Fahrrad kam.
Er lehnte es an den Zaun und ging durch den Garten, um an die
Haustür zu klopfen. Der Kanarienvogel erwachte und sprang
von Stange zu Stange, so daß der Käfig zu schaukeln begann.
Martin ging zur Tür und kehrte mit einem Blatt Papier zurück,
das er einem verschlossenen Umschlag entnommen hatte. Er
reichte es ihr. Es war die gedruckte Quittung eines örtlichen
Blumengeschäfts. Mit Filzstift war darauf geschrieben: »Der
von Ihnen bestellte Kranz ist wie gewünscht geliefert worden.«
Ein großer ovaler roter Gummistempel war darunter gesetzt:
»Bezahlt.«
»Verstehe ich nicht«, sagte sie.
»Blum ist tot«, verkündete er leise.
»Mein Gott!« sagte Fiona.
Er sah sie an. Ihr Gesicht war ganz weiß geworden.
»Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind so rein wie frisch
gefallener Schnee aus der Sache rausgekommen.« Dann begriff
er, daß die Nachricht von Blums Tod sie aus der Fassung
gebracht hatte. In einem verzweifelten Versuch, sie zu trösten,
sagte er: »Unsere Genossen haben eine Schwäche für
hochtrabende Rhetorik. Höchstwahrscheinlich haben sie ihn
nur nach Moskau zurückgeschickt.«
»Aber warum dann …?«
»Um Sie zu beruhigen. Um Ihnen zu schmeicheln.« Er
nahm ein Tuch und wickelte es um den Käfig, um ihn
abzudunkeln.
Sie sah ihm zu und versuchte, ihm anzusehen, was er
wirklich glaubte, aber das war nicht mit Sicherheit zu
erkennen. »Glauben Sie mir«, fügte er hinzu. »Ich kenne sie.«
Sie entschloß sich, ihm zu glauben. Vielleicht war das eine
weibliche Reaktion, aber sie konnte die Verantwortung für
Blums Tod nicht auf sich nehmen. Angesichts von Leiden, die
anderen zugefügt wurden, war sie nicht tapfer, und doch kam’s
ja gerade darauf bei ihrem Job am meisten an.
Sie kam kurz nach halb neun nach Hause, und kaum zehn
Minuten später fragte Bret Rensselaer telefonisch und
lakonisch an: »Alles okay?«
»Ja, alles okay«, sagte sie.
»Und was ist nicht okay?«
Bret hatte ihr etwas angehört. Er war so hellhörig für ihre
Gefühle, daß er ihr angst machte. Bernard hätte nie geahnt,

Weitere Kostenlose Bücher