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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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sehe, höllisch auf meine Finger aufpassen muss. Da ich außerdem Kühlwasser aus dem nahen Bach heranschleppe, bin ich im Grunde ausgelastet. Zu meinen Pflichten gehört jedoch darüber hinaus, die «Zusatzverpflegung» für die Tag- und Nachtschicht zu sichern. Deshalb zottele ich, sobald es dunkel wird, mit meinen beiden Wassereimern zu den in nächster Nähe gelegenen Feldern, buddele Kartoffeln und Mohrrüben aus und nehme hier einen Kohlkopf und dort ein paar Kohlrabi mit. Da die Kartoffeln noch recht klein sind, halte ich mich mehr ans Gemüse. Für die mondhellen Nächte, in denen man von den Wachtürmen gesehen werden kann, lege ich einen kleinen Vorrat an. Wenn ich beim Klauen erwischt werde, drohen mir ein paar Tage Karzer. Das wird sich allerdings im nächsten Jahr ändern. 1944 wird ein bewaffneter Flurschutz eingerichtet, der sogar einen Mann erschießt.
    Aus welchem Grunde ich von der Elektrostation abgezogen werde, ist mir nicht erinnerlich. Man teilt mich der neugegründeten bestehenden Pilzbrigade zu, die aus acht oder neun schwächlichen Leuten besteht. Der Chef der Shdanka, ein dicker Ukrainer ohne militärischen Rang, meint es gut mit uns. Wahrscheinlich denkt er, man könne die kurze Pilzzeit nutzen, um Gemüse für den Winter aufzusparen. Wegen der Arbeitsabrechnung der Pilzsammler braucht er sich nicht den Kopf zu zerbrechen – auf einem Landwirtschaftspunkt können sie als Feldarbeiter geführt werden. Trotzdem erweist sich der Pilz-Feldzug als Flop.
    Unsere Norm wird auf 20 Kilo festgesetzt – ein Gewicht, das übrigens keiner der Schwächlinge unserer Brigade auf einmal forttragen kann. Ich sage mir, dass ich 300 Gramm Brot (das bekommen die Pilzsucher bei nicht erfülltem Soll) auch bei einer Ausbeute von zwei oder drei Kilo verdiene, und halte mich deshalb an die Himbeeren, die in den abgebrannten Waldstücken überreichlich wuchern. Manche tun es mir gleich. Die übrigen Pilzsucher versorgen sich erst einmal selbst. Sie legen die Hüte großer Reizker und Täublinge auf ein rasch entfachtes Feuer, streifen die massenhaft herauskriechenden Maden mit der Hand ab und verschlingen die tellergroßen Kappen. Den Rest der «Schwämme» (so heißen die Pilze bei den Wolgadeutschen) liefern sie, indem sie drei- oder viermal in die Zone pilgern, mitsamt dem Gewürm in der Kantine ab. Das Ergebnis ist, dass auf der nun gemüselosen Suppe eine dicke Schicht weißer Würmer schwimmt. Ich kriege diese balanda nicht runter, lebe also von dem winzigen Stück Brot und den Himbeeren. Pilze – auch ohne Maden – sind mir bis heute (nach mehr als 55 Jahren!) noch immer zuwider.
    Meine Pilzsuche dauert nur eine Woche. Dann treffe ich eines Abends in der Zone Götz, der sich wegen irgendeines Anliegens kurz auf der Shdanka aufhält. Niedergeschlagen berichte ich ihm von den 300 Gramm Brot und der Maden-Suppe (von den Himbeeren sage ich nichts). Er verspricht, sich beim Chef für mich einzusetzen. Und er hält Wort.
    Tatsächlich werde ich wieder auf die Malaja Kossolmanka überführt und von Götz als Nachtwächter der Tag und Nacht beheizten Teeröfen beordert – mit garantiert 500 Gramm Brot. Das ist wahrhaftig eine himmlische Beschäftigung. Zu tun habe ich so gut wie nichts. Das benötigte Holz wird tagsüber neben den beiden zwei Meter langen Öfen von einer Invalidenbrigade herangebracht und aufgeschichtet, sodass ich nur auf die gleichmäßige Hitzeentwicklung achten und etwa alle zwei Stunden einen Stoß Rundhölzer nachlegen muss. Als Traumjob erweist sich dieser Posten aber vor allem, weil keine zehn Meter entfernt ein Kartoffelfeld mit jetzt schon recht großen Knollen beginnt. Obendrein fließt ganz in der Nähe der Ziegelei-Bach vorbei. Ich besorge mir ein Eimerchen, grabe abends, wenn ich zur Arbeit erscheine, in aller Ruhe Kartoffeln aus, wasche sie säuberlich im Bach und schiebe sie mit einem langen Ast unter die Glut ins heiße Aschenbett. Vor dem nächsten Holznachschub fische ich die köstlich gebräunten Kugeln aus der Asche, puste und beiße hinein. Die Schale ist knusprig, das Innere zergeht auf der Zunge – ein unvergleichlicher Geschmack! Diszipliniert ermahne ich mich, mich nicht zu überfressen. Das ist gar nicht so leicht, doch wäre es unverzeihlich dumm, wegen Magenverstimmung ins Krankenhaus zu kommen und meinen märchenhaften Posten einem anderen zu überlassen.
    Doch meine Tage an den Teeröfen sind gezählt. Nach dem Besuch einer Ärztekommission werde ich wieder

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