Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)
Heizer 14 Tage Karzer verpasst – eine harte Strafe. Mittags stürmt Taran in die Planungsabteilung und befiehlt Hagen: «Dein Germanez wird Heizer in der Sauna. Er fängt sofort an.» Also wieder ein neuer Job – schade.
Die Saunabesatzung besteht aus drei Leuten: dem Haarschneider Gisé, dem Desinfektor, das heißt Läusejäger, Grigori Iwanowitsch Epp und dem Heizer. Gisé stammt aus Baku und spricht kein Wort Deutsch. Epp ist ein atheistischer Mennonit (solche gibt es auch), hat in Moskau als Deutschlehrer gearbeitet und ist sogar bei einem Wettbewerb als einer der drei besten Lehrer der RSFSR (!) ausgezeichnet worden. Sein Deutsch ist exzellent, fast spitzfindig.
Gisé und Epp kommen nicht miteinander aus. Der Friseur ist ein zappliger Quatschkopf, der obendrein, wie jedermann weiß, zu den Zuträgern der Tscheka-Abteilung gehört. Dagegen verkörpert Epp Ruhe, Vernunft und Zurückhaltung. Er ist sieben oder acht Jahre älter als ich, trägt eine Brille und geht leicht gebeugt. Ihm obliegt es, den Ofen im Vorzimmer und in der Läusekammer zu heizen, wofür er das Holz allerdings vom Heizer, also von mir, bezieht. Gewissenhaft hängt er die zerschlissenen Sachen der Leute, als seien es wertvolle Stücke, an die Haken unter der Decke seiner Kammer. Peinlichst achtet er auf die Temperatur und darauf, dass die Klamotten lange genug schmoren. Diese Prozedur ist übrigens die einzige Behandlung, der unsere Kleider unterworfen werden. Eine Wäscherei gibt es auf dem Lagpunkt nicht. Und die meisten Leute waschen ihre Hemden und Unterhosen (wenn sie überhaupt welche haben) schon deshalb nicht, weil sie sonst halb nackt in der Baracke sitzen müssten, bis ihre Sachen trocknen. Seife gibt es ohnehin nicht.
Fast väterlich weist mich Epp in meine neue Arbeit ein. Er rät mir, niemals – wie es mein Vorgänger getan hat – in der feuchtwarmen Sauna zu übernachten, und macht mich mit einigen praktischen Tricks vertraut. So lehrt er mich, die Trockenheit des abgelagerten Holzes zu erkennen, zeigt mir, wie man Bastbesen bindet und wie man den Wasserstand in der Tonne prüft.
Mein Arbeitspensum in der Sauna ist umfangreich. Ich schrubbe die Bänke und den Fußboden im Waschraum, reinige das Ankleidezimmer, spalte das Holz, das in meterlangen Scheiten vor dem Fenster meines Arbeitsraumes abgeladen wird, beheize den Hauptofen und befülle die Kaltwassertonne.
Auf der Bolschaja Kossolmanka sind ungefähr 600 Leute, die alle zehn Tage durch die Sauna geschleust werden, also 60 Mann pro Tag. Da aber öfter Verladearbeiten anstehen, habe ich an manchen Tagen 100 oder 120 Leute mit Wasser zu versorgen. Im Schnitt verbraucht jeder zwei (sieben bis acht Liter fassende) Eimer warmes Wasser und einen Eimer kaltes, sodass ich mitunter auf 360 Eimer pro Tag komme. Der Brunnen, aus dem ich das Wasser ziehe, ist etwa zehn Meter tief. Eine kleine Stiege führt zum Brunnenrand hinauf. Von dort aus entleert man – immer gebückt stehend – die Eimer in eine hölzerne Zulaufrinne, durch die das Wasser zur Tonne geleitet wird.
Obwohl die Brigaden immer erst nach der Arbeit in die Sauna geführt werden, muss ich für «Einzelgänger» (Köche, medizinisches Personal, hohe Bürohengste, auch ein paar Freigänger), die am Vormittag zum Baden kommen, schon am frühen Morgen Feuer machen. Viele dieser Leute zeigen sich dafür erkenntlich, sodass ich mich nun zu den Privilegierten rechnen kann: Die Köche schöpfen, wenn sie Suppen einfüllen, von unten, und ein paarmal steckt mir der Kantinenchef, Vetter Peter, sogar eine Pirogge zu.
Zu denen, die die Sauna am Samstagvormittag in Ruhe genießen wollen, gehört natürlich der Chef des Punktes. Selbstverständlich bringt er seine Frau und seine beiden Kinder (vier und sechs Jahre) mit. Das Gewese, das Taran um seinen Saunabesuch veranstaltet, ist erheblich. Obwohl er keineswegs ein böser Kerl ist, unterliegt auch er dem Drang, seine Macht zu manifestieren. Nicht zuletzt durch die ausgedehnte Badezeremonie macht er deutlich, dass er der Chef ist.
Das Gewese um den samstäglichen Saunagang beginnt schon am Freitagabend damit, dass die 600 Männer auf dem Lagpunkt kein (abgekochtes) Trinkwasser haben. Tarans Frau, eine pummlige Bäuerin, die man sich primitiver nicht vorstellen kann, erklärt nämlich, sie könne ihre zarte Haut nicht mit Brunnenwasser waschen, davon bekäme sie Pickel. Deshalb benutzt sie das Wasser aus den «Teekesseln» der kipjatilka . Der Wasserfahrer, der das
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