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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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«Willst du noch was?» Eine Frage, der ein Hauch von Friedenszeiten anhaftet.
    Bei seinem Job, so erklärt mir Ehlert, komme es lediglich darauf an, abzuschätzen, wie viel geklaut werde, und das entstandene Manko auszugleichen. «In Korelino sind fast nur Sträflinge. Wenn die einen Waggon mit Getreide ausladen, binden sie sich unten die Hosen zu, lassen mal einen Sack platzen und schütten sich dann einen Schwall in die Buxen. Das sind jedes Mal an die fünf Kilo. Ich muss also überschlagen, wie viele Leute am Ausladen beteiligt sind, und das mit fünf multiplizieren. Und selber esse ich ja auch was, da kommt schon einiges zusammen. Damit das Gewicht stimmt, kippe ich ab und zu ein paar Säcke in eine Pfütze oder schmeiße einen Sack zweimal auf die Waage. Wenn sich ein kleiner Fehlbetrag bei mir einschmuggelt, ein paar Zehntel Prozent vielleicht, geht das durch – Feuchtigkeitsschwund und so. Nur zu viel darf es nicht sein, sonst kommen gleich die von der Tscheka und beweisen einem, dass man schon beim Anfangsgewicht gemauschelt hat.»
    Die nächtlichen Schlemmereien haben jedoch bald ein Ende. Nach drei oder vier Fahrten werde ich beim Morgenappell ohne jede Erklärung in die Ziegelei geschickt. «Ziegelei» ist etwas hochgestochen, denn vorerst werden nur Rohziegel gefertigt, der Brennofen ist noch im Bau. Die Anlage liegt an einem Bach. Es gibt drei Werkbänke, an denen die Leute, die sogenannten Former, die Ziegel fertigen – immer vier Stück mit einem Handgriff. Am Bach befindet sich ein großer, mit Lehmklumpen und Wasser gefüllter Bottich. Um den Bottich trottet ein erblindetes Pferd und bewegt die kreisenden Mischarme, die Lehm und Wasser zu einer homogenen Masse vermengen. Diese Masse wird von jeweils drei Leuten nach oben gekarrt. Hinter den Formtischen befinden sich die Gestelle, auf denen die Rohziegel zum Trocknen an der Luft aufgestellt werden.
    Ich bin einer der Schubkarrenmänner. Mir obliegt es, meine Karre am Bottich vollzuschippen, sie zum Former zu bugsieren und sie dort auszuschütten. Oft schaffe ich es beim ersten Mal nicht, die steil ansteigende, zehn oder zwölf Meter lange Strecke zu bewältigen. Oben angelangt, kriege ich keine Luft mehr und kann die Griffe der Karre nur noch mit großer Mühe hochreißen. Auch dazu muss ich bisweilen zwei- oder dreimal ansetzen.
    Der Former, dem ich das Lehmgemisch vor die Füße schütte – er heißt Bock –, muss auch seine Norm erfüllen und beschimpft mich, sobald er ein paar Sekunden Leerlauf hat, als Tölpel, Versager und Schlappschwanz. Trotzdem tut er mir leid, als er bald nach meiner Schubkarrenzeit ein schlimmes Ende nimmt. Er versucht nämlich in die Kammer des Brotschneiders einzubrechen, wird dabei ertappt und zunächst als in Korelino stationierter Untersuchungshäftling in den Wald geschickt. Dort bringt er sich selbst eine Verletzung bei, kommt verspätet mit einem völlig vereiterten Bein ins Krankenhaus, wird amputiert und vom Tod ereilt.
    Nachdem sich Bock beim Brigadier über mich beschwert, komme ich als Heizer auf die Elektrostation. Das «Kraftwerk» besteht aus einem Lokomobil, um das ein wetterfester Schuppen herumgebaut ist. Darin sind einige Festmeter Brennholz, ein paar Wasserfässer und ein kleiner Instrumentenschrank untergebracht. Beschäftigt sind dort jeweils zwei Mann – Maschinist und Heizer, die in zwei Schichten je zwölf Stunden arbeiten. Maschinist der Tagesschicht ist Ruppel, der bald zum Chef der Mechanisierungsabteilung des Lagers in Soswa wird. Die Nachtschicht fährt mein alter Bekannter Pannekauk. Sein kommunistischer Elan ist etwas verblasst, doch sieht man ihm an, dass er sich noch nicht mit Säge und Beil für die Normerfüllung abquälen musste. Bevorzugt bleibt er auch in der Folgezeit: Von der Elektrostation kommt er als Brotschneider in die Kantine. Doch dann beginnt sein Abstieg. Die Versuchung auf der neuen Stelle erweist sich als zu groß. Von dem auf Kosten der Hungerleider «erwirtschafteten» Brot kauft er ein paar Uhren, wird wegen Betrugs gefasst und zu fünf Jahren Straflager verurteilt (eine unter diesen Umständen ungewohnt milde Strafe). Die Kriminellen seines Lagpunkts beschuldigen ihn – ob zu Recht oder Unrecht – des Diebstahls und ertränken ihn kurzerhand im Frühjahr 1945 beim Flößen.
    Ich bin als Heizer Pannekauk zugeordnet und arbeite nachts. Auf dem Vorplatz der Elektrostation zersäge und spalte ich Holz, immer im Dunkeln, sodass ich, weil ich nur mit einem Auge

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