Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
Vom Netzwerk:
seine Frau, Sinaida Reich, die vorher mit dem Dichter Sergej Jessenin verheiratet gewesen war. Welche Position Meyerhold bis dahin gehabt hatte, lässt sich unter anderem daraus ersehen, dass für ihn und nach seinem Entwurf eines der ersten und größten Theater in Moskau errichtet wurde. Da der Bau – ohne eigentliche Bühne – für andere Theatergruppen nicht geeignet war, funktionierte man ihn in den Tschaikowski-Konzertsaal um. Diese Vorgeschichte des Musikpalastes am Majakowski-Platz kennen heute nur noch wenige.
    Die Ausrottung von Revolutionsveteranen und ausländischen Kommunisten führte naturgemäß dazu, dass die Organisationen und Institutionen, in denen diese Menschen zusammengefasst waren, zuerst verödeten und schließlich auch formell aufgelöst wurden. Das betraf, wie schon erwähnt, die KUNMS, deren Leiterin, Maria Frumkina, mitsamt der Hälfte der KUNMS-Dozenten und Studenten als «Volksfeindin» entlarvt worden war. 1937 wurde auch der «Klub ausländischer Arbeiter» aufgelöst. Zwischen 1937 und 1943 erfolgte die Liquidierung der «Gesellschaft der alten Bolschewiki»*, der «Arbeitsgemeinschaft ehemaliger Zwangsarbeiter und Verbannter»*, der «Organisation zur Erforschung der Parteigeschichte» (Istpart*), der «Internationalen Arbeiterhilfe» (IHA, Meshrapom), der «Roten Hilfe» (MOPR), des sowjetischen «Verlages für ausländische Arbeiter» oder der Moskauer «Deutschen Zentralzeitung»* (DZZ). Das Ende dieser Entwicklung setzte 1943 die von Stalin diktierte Auflösung der Komintern, welche zu diesem Zeitpunkt faktisch kaum noch existierte, da ein Großteil der Mitarbeiter längst umgebracht worden war.
    Dabei standen die Kader der Geheimabteilung OMS, in der Hans und meine Mutter arbeiteten, ganz oben auf der Abschussliste. Aus heutiger Sicht glaube ich sagen zu können, dass vom gesamten OMS-Apparat höchstens zehn oder 15 Leute überlebt haben. Hans und Charlotte wurden zusammen mit den anderen Mitarbeitern der OMS zunächst vom Dienst suspendiert und im luxuriösen Hotel Metropol in der Nähe des Roten Platzes untergebracht (später wurden sie ins weniger komfortable Hotel Nowaja Moskowskaja verlegt; während im Metropol für die OMS-Leute noch eineinhalb Etagen nötig gewesen waren, reichte im Nowaja Moskowskaja bereits eine halbe Etage). Regelmäßig erschien in der Nacht ein Kommando des NKWD und verhaftete diesen oder jenen ehemaligen Punkt-Zwei-Bewohner. Entsprechend war die Stimmung im Hotel Metropol . In den ersten Wochen schlenderten Charlotte und Hans noch manchmal durch die Stadt. Doch als sich die Tortur Monate und schließlich sogar ein ganzes Jahr hinzog, verbrachten sie die Tage meist angezogen auf dem Bett liegend und versuchten zu lesen. Schließlich schauten sie stundenlang den Mäusen zu, denen sie Brotkrumen hinwarfen. Bis Neujahr 1937/38 waren mindestens drei Viertel der OMS-Mitarbeiter verschwunden.
    Mit Walter hatten sich Mutter und Hans schon überworfen. Ich hingegen besuchte sie während dieser Zeit ziemlich oft. So gefühllos es klingen mag, schaute ich alle vier bis fünf Tage einfach nach, ob sie bereits verschwunden waren oder noch vor dem Verschwinden zitterten. Trotz alledem waren sie meinen Zweifeln gegenüber taub. Sie verbaten sich, wenn man sie direkt ansprach, alle diesbezüglichen Fragen. Mir schien, als nähmen sie die grausige Wirklichkeit so demütig an, wie die Gläubigen im Mittelalter Seuchen und Erdbeben – als Zuchtrute Gottes, unergründlich, aber kein Anlass für Zweifel. Ihren Glauben an das Gelobte Land in Frage zu stellen, wagten sie nicht. Stattdessen horteten sie ihr Gehalt, verkauften das bisschen Schmuck, das sie hatten, aber auch Anzüge und Schuhe. Insgesamt kratzten sie fast 33   000 Rubel zusammen, um dafür einen Persianer zu kaufen, in der Hoffnung, dass dieser im Ausland einen hohen Erlös bringen würde. Als sie schließlich nach Frankreich ausreisen durften, bekamen sie dafür allerdings keinen Sou. Das wertvolle Stück wurde Charlotte 1939 bei ihrer Einlieferung ins Sainté-Gefängnis von der Polizei abgenommen. Nicht einmal eine Quittung stellte man ihr aus.
    Dass sie ausreisen konnten, verdankten sie ihrem Chef Abramow-Mirow, dem wahrscheinlich schon relativ früh klargeworden war, welches Schicksal ihn und seine Mitarbeiter erwartete. Er hatte, solange es ihm noch möglich war, seine attraktive Dolmetscherin und ihren Lebenskameraden auf eine fadenscheinig begründete Dienstreise nach Paris geschickt und damit

Weitere Kostenlose Bücher