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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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polternd einstiegen, reizten mich. Ihre oft in schrillen Tönen geführten Unterhaltungen kamen mir wie das Bellen Ertrinkender vor, die für ihre Untauglichkeit im tätigen Leben auf ewig bestraft würden.
    Richtig wach wurde ich meist erst auf dem Leningrader Bahnhof, wo ich mich in einer widerlichen öffentlichen Bedürfnisanstalt notdürftig wusch und etwas Wasser aus der stinkenden Leitung trank. Dann kaufte ich mir eine Schrippe und würgte sie, da ich keinen Hunger verspürte, trocken herunter. Im Dienst (zu dieser Zeit noch im Tschernyschewski-Institut) brauchte ich zum Glück nicht zu sprechen. Ich arbeitete wie eine zum Ausrangieren reife Maschine – präzise, aber langsam und lustlos. Nach Feierabend konnte ich es nicht erwarten, zur Hauptpost in der Gorki-Straße zu kommen und nach einem postlagernden Brief von Lydia zu fragen, wusste aber schon immer im Voraus, dass meine Erwartungen enttäuscht werden würden.
    Eines Morgens, als ich vom Leningrader Bahnhof zum Metroeingang hinaustrat, stand plötzlich eine deutsche Genossin vor mir, Zilli, die ich flüchtig aus dem Ausländerklub kannte. Wie ein krankes Tier versuchte ich ihr auszuweichen, doch sie sprach mich an. Besorgt erkundigte sie sich, was passiert sei und warum ich so schlecht aussehe. Ich erzählte ihr zwar nichts von Lydia und von meinen nächtlichen Fahrten nach Klin, gestand ihr aber, dass ich praktisch auf der Straße saß. Zu meiner größten Verwunderung meinte sie, dass sie in ihrer Nachbarschaft in Losinoostrowskaja (an der Nordbahn) mehrere Leute kenne, die einen von ihr empfohlenen Untermieter aufnehmen würden. Ich konnte es kaum glauben, bat sie aber, mir postlagernd zu schreiben, sobald sie etwas finde.
    Obwohl die Bahnfahrkarten damals kaum etwas kosteten, hatte ich wenige Tage später nicht einmal mehr das Geld, um ein Billet nach Klin zu lösen. Ich beschloss, zur Krim-Brücke zu fahren und Vater zu bitten, mich wenigstens für ein oder zwei Nächte aufzunehmen.
    Als Vater mich sah, war er so über mein Äußeres erschrocken, dass er nicht einmal Gerda fragte, ob ich bleiben könne. Er gab mir Rasierzeug, begleitete mich – als könne ich umfallen – zu dem am Ende des Korridors gelegenen Waschraum. Anschließend konnte ich mich satt essen. Schließlich fiel ich auf das Lager nieder, das Erwin mir auf dem Fußboden bereitete, und fühlte mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wie ein Mensch.
    Zu einem Gespräch mit Vater kam es erst am nächsten Abend. Unser Glück war, dass Gerda zu einer Versammlung musste. Zunächst machte mir Erwin Vorwürfe, weil ich meine Bleibe «wegen eines Mädels» riskiert hatte. Ich hörte mir das an, dachte im Stillen aber, dass er selbst «wegen eines Mädels» die Familie und das Verhältnis zu seinen Söhnen zerstört hatte. Einen Ratschlag konnte allerdings auch er mir nicht geben.
    Unser Hauptgesprächsthema war jedoch nicht meine persönliche Situation, sondern die Moskauer Atmosphäre. Ich begriff, dass Vater vom politischen Elend ringsum mindestens so mitgenommen war wie ich. Ein Bekannter von ihm, offenbar ein hoher Staatsfunktionär, der ihn von Zeit zu Zeit über Dinge unterrichtet hatte, die nicht in der Zeitung standen, war kurz zuvor verhaftet worden. Vater hatte – ohne es Gerda zu sagen – seine gesamte Korrespondenz und seine Notizbücher verbrannt, wartete jetzt Nacht für Nacht darauf, abgeholt zu werden.
    Hilflos fragten wir uns, was wir tun sollten: Ob ich vielleicht versuchen sollte, mich als Freiwilliger für die Internationalen Brigaden nach Spanien zu melden oder in die Arktis zu gehen? Von solchen Plänen riet Erwin ab. Es gebe nur eins: den Kopf einziehen, sich nicht bemerkbar zu machen, irgendwie überleben.
    Wir sprachen lange miteinander. Und sosehr alles von Angst und düsteren Vorahnungen durchdrungen war, so schön war es auch, sich zusammengehörig zu fühlen. Derartiges habe ich mit Vater nie wieder erlebt. Schon am nächsten Abend herrschte eine völlig andere Stimmung. Gerda ging geräuschvoll im Zimmer umher, schwadronierte, überschüttete mich mit Schmähungen: «Mich wundert’s gar nicht … Zu faul zum Studieren … Zu blöd, um sich ein Dach über dem Kopf zu verschaffen … Und dann kommen sie zu Papa betteln …» Vater saß auf der Couch und wirkte, noch nicht einmal 50, wie ein willenloser Greis.
    Der Zufall wollte es, dass ich ein paar Tage bei meiner Kollegin Kapa Buchholz kampieren konnte. Doch dann ging die Leidenszeit unerwartet zu

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