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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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Mennoniten und die Kuibyschew-Deutschen eher verwundert sind, neigen die Leute aus Moskau und Baku, die schon mal etwas von Daktyloskopie gehört haben, zu Empörung und Protest: «Wir sind doch keine Verbrecher!» Noch unterschiedlicher verhalten sich die Leute bei der Beantwortung der teilweise umständlich formulierten Fragen. Einige bemühen sich, knapp und präzise Auskunft zu geben. Andere Moskauer und Bakuer versuchen, sich als staatstragende Elemente hervorzutun. Einer verlangt, ihn als «Bestarbeiter» einzutragen, ein anderer besteht darauf, den Vermerk über seine Dienststellung mit dem Zusatz «war mit politischer Verantwortung betraut» zu versehen. Pannekauk und ein anderer Komsomolze beanstanden die Vergangenheitsform der Fragen: «Was heißt hier ‹Waren Sie …›? Ich bin Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes!»

HINAUS IN DIE TAIGA
    Als wir am sechsten Tag kompanieweise in den Wald geführt werden, ist es zum Glück wärmer geworden. Ich schätze zehn Grad unter null. Da tut es gut, mal wieder die Beine zu bewegen. Der Weg, ein Trampelpfad, auf dem wir im Gänsemarsch voranschreiten, führt durch hohen Tannenwald. Die Zweige sind mit einer frischen Schneeschicht bedeckt. Unsere Schritte sind gedämpft, es herrscht eine fast unheimliche Stille.
    Da sich unsere zwei Bewacher vorschriftsmäßig links und rechts der Kompanie durch den hohen Schnee quälen, können sie kaum Schritt mit uns halten. Schon bald trotten sie einfach an der Spitze und am Ende der Kolonne mit. Irgendwann lassen sie auch die Maschinenpistole zu Hause und begnügen sich mit dem karandasch (Bleistift), der Pistole.
    Unterwegs, nach etwa 20 oder 30 Minuten, kommen wir an einer Lichtung vorbei, an der der Pfad im rechten Winkel nach links abbiegt, sodass rechter Hand eine strahlende Schneefläche von unseren Schritten unberührt bleibt. Lediglich ein paar Hasenspuren sind zu sehen. In der Mitte der Lichtung erhebt sich eine gigantische Tanne. In den folgenden Tagen und Wochen berührt mich, wenn wir bei unserem erbärmlichen Hin- und Rückmarsch hier vorbeikommen, immer wieder die Harmonie dieses abgeschiedenen Fleckchens. Der gravitätische Baum, der die Erhabenheit der Natur über die menschlichen Scheußlichkeiten versinnbildlicht, tröstet mich in gewisser Weise über die widerwärtige Wirklichkeit hinweg.
    Nach etwa einer Dreiviertelstunde erreichen wir das Waldmassiv, in dem uns zu arbeiten bevorsteht: hochstämmige Kiefern, dazwischen einige Tannen, gelegentlich auch Büsche, vornehmlich Linden, die in diesen Breiten nur kümmerlich gedeihen und nie die Größe eines Baumes erreichen.
    Wie ich nach und nach feststellen werde, ist das Lagergebiet, also die Region nordöstlich des Uralgebirges, größtenteils versumpft. Auf weiten Strecken gibt es weder Baum noch Strauch. Dort wächst nur Sumpfgras in rundlichen Büscheln ( kotschki ). Wenn man an Stellen gerät, wo einen der schwarze Morast verschlingen kann, bieten jedoch diese Büschel keinen rettenden Halt. Jede Bewegung beschleunigt den Untergang.
    Der Untergrund ist oftmals auch dort morastig, wo sich Bäume und Buschwerk breitmachen und die Oberfläche unverfänglich wirkt. Davon zeugen die aufragenden Wurzelgeflechte der vom Sturm gefällten Bäume. Der Sturm bricht sie nicht, sondern reißt sie mitsamt seinen Wurzeln heraus. Da in der Taiga viele vom Unwetter umgeworfene Bäume herumliegen, bilden die Wurzelballen mitunter regelrechte Barrikaden, die das Fortkommen schlimmer behindern als das dornige Unterholz. Diese Wurzelungetüme, die einen beim Durchqueren sibirischer Wälder ständig zwingen, die Richtung zu wechseln, machen es fast unmöglich, sich im Dickicht der Taiga zu orientieren.
    Dort, wo die Flächen mäßig versumpft sind, stehen Birkenhaine, die – besonders wenn sich die Blätter gelb färben – wunderschön aussehen. Fällen kann man diese Bäume nur im Winter, wenn auch die Flachmoore zugefroren sind. Birken werden unter anderem zu Gewehrschäften verarbeitet, allerdings nur bei entsprechender Qualität der Stämme. Der Holzfäller muss also auf den einwandfreien Wuchs, auf ein möglichst kleines Herzstück (von außen nicht so leicht zu erkennen), auf das Fehlen von Ästen, Astansätzen, Verwachsungen, Knorpeln und Baumpilzen achten. Fällt er einen minderwertigen Baum, wird ihm dieser nicht auf die Norm angerechnet. Die Krone und die Äste aller umgelegten Bäume werden an Ort und Stelle verbrannt.
    In den Birkenhainen und in anderen

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