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Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition)

Titel: Gelobtes Land: Meine Jahre in Stalins Sowjetunion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge , Wolfgang Ruge
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die Verbindungsabteilung, deren Aufgabe es ist, das für alle Lagerbereiche äußerst wichtige und zugleich sehr anfällige Telefonnetz in Ordnung zu halten, die Landwirtschaftsabteilung, die Bauabteilung, die Allgemeine Abteilung, die unter anderem auch die Wohnungsangelegenheiten der Offiziere und Freien regelt, die Versorgungsabteilung, die Abteilung für technische Versorgung, die für den Zustand der Sträflingsbaracken zuständige Kommunalabteilung, die Medizinische sowie die Veterinärmedizinische Abteilung und schließlich die Kultur- und Erziehungsabteilung sowie die Kommandantur.
    Diese und andere Einzelheiten über Aufbau und Gliederung des Lagers erfahre ich erst viel, viel später, teils sogar erst nach 1945, als ich nach langen Irrfahrten in das Projektierungsbüro der Bauabteilung versetzt werde. Vorerst ist in dieser feindlichen Umgebung alles neu für mich.
    Im Anschluss an den Saunaaufenthalt, den wir im Vorgefühl des erwarteten Essens rasch hinter uns bringen, werden wir endlich in die Kantine geführt. Das Brot, das man uns gibt, verschlinge ich gierig, doch von der Lagersuppe ( balanda ) kriege ich nur ein paar Löffel runter. Plötzlich dreht sich mein Kopf. Mir wird von dem Geruch übel. So bin ich froh, dass man nach dem Essen nichts mehr von uns verlangt und ich erschöpft auf meine Pritsche kriechen kann.
    Die anschließende, fünftägige Quarantäne beschert kaum Ruhe. In den wenigen Stunden, in denen man sich selbst überlassen ist, kann man sich nicht zurückziehen. Zum Lesen ist es auf meiner Pritsche zu dunkel. Zum Sitzen sind die Doppelstockbetten zu niedrig. Zum Liegen gibt es keinen Strohsack. Tagsüber kann ich zwar meinen schon recht mitgenommenen Moskauer Mantel, der ja kein richtiger Wintermantel ist, unter mir ausbreiten, nachts muss ich mich aber mit ihm zudecken. Genauer gesagt: zu Beginn der Nacht. Ich habe nämlich eine Schlafstelle unweit des Ofens, der nachts geheizt wird, damit die Sachen der Leute, vor allem ihre entsetzlich stinkenden Fußlappen, einigermaßen trocknen. Da auch die menschlichen Körper Wärme ausstrahlen, wird es am Morgen so heiß, dass ich nicht nur den Mantel abwerfe und unter mich lege, sondern auch die Kleidung. Zwei, drei Monate später, als ich schon fast zum Skelett abgemagert bin, ist mein Rücken von den Brettern wund gescheuert und an den Schulterblättern und am Hintern mit Schorf bedeckt.
    Außer den acht Baracken stehen innerhalb der Einzäunung, der «Zone», wie man sagt, noch fünf Holzhäuser und zwei langgezogene Plumpsklos, wo sich jeweils sechs Leute nebeneinander hinhocken können. Die Klos sind total verdreckt, und zwar mit Exkrementen, die schwarz sind wie chinesische Tusche. Warum das so ist, weiß ich nicht, wahrscheinlich liegt es an der Ernährung oder am Wasser.
    Das kleinste Häuschen ist die kipjatilka , das Teehäuschen. Was sich in dem großen Kessel dort befindet, ist aber nicht Tee, sondern abgekochtes Wasser, das man sich nach den Mahlzeiten holen kann. Viele machen davon Gebrauch, ziehen sich nach dem Essen mit einem Becher Wasser in irgendeine Ecke zurück und verspeisen dort die aus der Kantine mitgebrachten Brotkanten. Das ist der einzige Genuss, der ihnen bleibt. Manche trinken auch zwei oder drei Becher Tee oder würzen das Brot mit Salz (sofern es aufzutreiben ist). Ich merke nach kurzer Zeit, dass diese Art von «Verbesserung» der Ernährung nichts bringt. Die Leute, die viel Wasser zu sich nehmen (erst recht die, die auch Salz konsumieren), dunsen auf, die Bäuche werden dick, im Gewebe bleiben, wenn man es mit dem Daumen niederdrückt, lila gefärbte Mulden. Die Aufgedunsenen haben keine Kraft mehr und sind die ersten Todeskandidaten. So schwöre ich mir schon in den ersten Tagen, keinen Tropfen Wasser mehr zu trinken – um den Flüssigkeitsbedarf, den der Körper braucht, zu decken, reicht die Wassersuppe. Nach einer Weile tausche ich sogar mein Becherchen gegen ein Stück Brot ein. Außer der Wassersuppe trinke ich – was mir später kaum einer glauben will – zehn Jahre lang überhaupt nichts mehr.
    Ein zweites Häuschen innerhalb der Zone ist die Arztpraxis, hier Medpunkt genannt. Meist gibt es da drei Zimmer (Warteraum, Behandlungszimmer und Wohnstube des Doktors), hier jedoch reichen zwei aus – die Warteschlangen bilden sich schon vor der Tür. In den Medpunkt werden wir am zweiten Tag unseres Aufenthalts am «Schwarzen Flüsschen» wie am Fließband geführt. Schon in der Tür müssen die Leute

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