Geloescht
Hände und FüÃe sind gefesselt. Meine Haare sind länger und verstrubbelt und ich bin noch dünner als jetzt. Mein Gesicht ist leer, genau wie meine Augen: Es gibt keine Fenster zu meiner Seele oder irgendwo sonst hin.
Während ich auf den Computer starre, hört ein anderer Teil von mir immer noch Rufe, Schüsse, einen Schrei, der jäh abbricht. Aber ich bin wie hypnotisiert. Ich überfliege schnell meine Aufnahme und die Operationsnotizen. Ich suche nach irgendeinem Hinweis, warum ich hier bin, doch ich kann nichts finden auÃer einem Durcheinander an Scans und Aufnahmen meines Gehirns.
Schritte, Rufe.
Sie kommen näher.
Aber was ist das? Ich klicke auf
Empfehlungen
.
Es wird lauter
. Ich blicke zur Tür.
Los, versteck dich, jetzt sofort!
Aber wo? Ich schaue mich im Raum um und will die offenen Fenster auf dem Bildschirm schlieÃen, doch dann öffnet sich der letzte Link: Empfehlungen. Eine Tabelle mit MaÃnahmen und Daten.
Gremium plädiert für Abbruch. Dr. Lysander lehnt ab. Erneute Operation. Anzeichen für Rückfälle nach Behandlung beobachten. Zusätzliche Ãberwacher beantragt. Bei Rückfall empfiehlt Gremium Abbruch.
Der letzte Eintrag ist aus der Woche, bevor ich das Krankenhaus verlassen habe.
Los, versteck dich, jetzt sofort!
Die Tür springt auf.
Zu spät.
Ein Mann starrt mich an. Er ist kein Lorder â seine Haare sind strähnig, sein Blick wild und seine schwarze Kleidung soll wahrscheinlich wie die Einsatzkleidung der Lorder aussehen, aber von Nahem verrät sie ihn. Ein Teil von mir registriert diese Details, während sich der Rest nur auf eines konzentriert: Er hält eine Waffe in seiner Hand, die er nun hebt und auf mich richtet.
Ein anderes Gesicht erscheint hinter seiner Schulter.
»Lass sie! Sie hat ein Levo, sie ist geslated.«
Er zielt immer noch mit der Waffe auf mich. »Es wäre menschlicher, sie zu erschieÃen, oder?«
Ich schüttle den Kopf und weiche an die Wand zurück. Ich versuche zu sprechen,
nein, bitte nicht,
aber die Worte bleiben in meiner Kehle stecken.
»Vergeude keine Kugeln«, schreit der andere und reiÃt an seinem Arm. Sie rennen den Flur hinab.
Ich lasse mich auf den Boden sinken. Ich zittere schrecklich. Mein Levo zeigt 5,1.
Das soll mir mal einer erklären.
Ich kann es nicht.
Dann schaltet sich mein Selbsterhaltungstrieb ein und lässt mich aufstehen. Ich schlieÃe alle offenen Fenster auf dem Bildschirm und spähe dann vorsichtig zur Tür hinaus. Der Flur ist leer, doch es kommen Schreie aus der Richtung, in die die beiden Männer gerannt sind. Ich laufe in die andere Richtung.
Die Lichter flackern ein paar Mal und gehen dann aus. Jetzt ist es stockdunkel. Ich reiÃe meine Augen auf, doch ich kann in dem fensterlosen Flur trotzdem nichts erkennen. Ich möchte schreien, aber eine innere Stimme warnt mich:
Beruhige dich; du kennst den Weg â denk nach!
Ich atme langsam und tief ein und versuche mit aller Macht, mir den Krankenhausplan in Erinnerung zu rufen. 8. Stock.
Geh zur Schwesternstation,
hat Dr. Lysander gesagt.
Mit einer Hand an der Wand und sehr vorsichtigen Schritten, um kein Geräusch zu machen, tapse ich bis zum Ende des Flurs. Doppeltür, links abbiegen: Sie haben Ihr Ziel erreicht.
Alles ist still. Ich laufe mit ausgestreckten Händen vorwärts, um die Kante des Schreibtisches zu finden, aber ich rutsche auf etwas aus und falle hin.
Der Boden ist nass. Klebrig. Ein seltsamer, metallischer Geruch hängt in der Luft, steigt meine Kehle hinauf und lässt mich würgen.
Blut.
Ich weiche blind auf Händen und FüÃen zurück und stoÃe an etwas â nein, jemanden â auf dem Boden: eine Hand, ein Arm. Ein Mensch, eine Frau in Schwesternkleidung. Kein Geräusch, keine Bewegung, eine groÃe klebrige Pfütze ⦠Ich zwinge mich, ihrem Arm bis zum Hals zu folgen. Sie ist noch warm, aber ziemlich sicher tot. Dieser letzte Schrei, den ich gehört habe, ehe die beiden Männer mit der Waffe kamen â sie haben sie erschossen. Es muss so gewesen sein.
Tot.
Ich rapple mich wieder auf und renne, ohne etwas zu sehen, zurück in den dunklen Flur.
Stopp â viel zu laut! Versteck dich.
Ein Instinkt zwingt mich, langsamer zu werden und vorsichtig weiterzulaufen. Ich versuche, mich zu erinnern, ob mir die Schwester vorhin am Empfang aufgefallen ist, als ich aus dem Lift gestiegen bin. Ich bin
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