Gelyncht - Gus Dury ; 2
angesteckt, nahm die Kippe jetzt aus dem Mund und erhob mich schnell. »Nein, danke, das Übliche ist schon okay … Ist das die Zeitung?«
Mac beugte sich herüber, um die Morgenausgabe aufzuheben. Bei dem Aufmacher auf Seite eins machte mein Herz einen Satz: MORD AUF CORSTORPHINE HILL.
Ich riss sie ihm aus der Hand, überflog den Text. Genau, wie ich es mir gedacht hatte – nur das absolute Minimum; der Nachtreporter hatte von den Bullen nichts erfahren.
Mac brachte mein Pint Guinness und kommentierte mit einem grimmigen Kopfnicken auf die Zeitung: »Die waren schnell.«
»Hab’s ihnen letzte Nacht gesteckt.«
»Du hast was?«
»Hab sie noch vom Hill aus angerufen.«
»Ist das klug, Gus?«
Ich sah auf und setzte meine Seit-wann-bin-ich-klug? -Miene auf.
Mac kam hinter der Theke hervor und setzte sich neben mich. »Also, Dury, was zum Teufel führst du, bitte schön, jetzt wieder im Schilde?«
Ich trank den Schaum von meinem Guinness ab und nahm einen kräftigen Zug. »Schon mal was von einem Kerl namens Thomas Fulton gehört?«
Macs Blick wanderte zur Decke. »Fulton … nein, kann nicht sagen, dass da was klingelt. Warum?«
»Er ist unsere Leiche. Ich kenne den Namen, kann ihn nur nicht einordnen.«
»Ein gängiger Name.«
»Ich weiß, ich weiß. Aber dieser Bulle letzte Nacht, als der sah, wer es war, hat’s ihn nervös gemacht, ziemlich nervös. Er hat sich sofort ans Telefon gehängt, hat irgendwen angerufen, hat dieses arme Arschloch Moosey genannt … Sagt dir der Name vielleicht was?«
»Ich kannte mal einen Buchmacher, der hieß Moosey, und dann war da noch ein Moosey im Riddrie Hilton, dem Knast in Glasgow. Hab beide die letzten Jahre aus den Augen verloren, nichts mehr von ihnen gehört.«
»Kannst du dich mal umhören?«
»Aye, klar …« Er lehnte sich zurück, atmete scharf ein. »Aber was soll das alles? Du hast hier einen Laden, um den du dich kümmern musst. Du brauchst diesen Stress nicht.«
Ich leerte mein Pint, stand auf. »Es interessiert mich.«
Mac beobachtete mich, wie ich meine Jacke anzog. Ein gequälter Ausdruck lag auf seinem Gesicht, die Augenbrauen drückten kräftig auf seine Schlitzaugen. »Es interessiert dich?«
»Irgendwas stimmt da nicht.«
Er stand auf. »Gottverdammt noch mal, na und? Ist doch nicht dein Problem.«
Das Komische war, ich gab ihm völlig recht. »Ich weiß. Ich möchte einfach nur eine … eine berufliche Neugier stillen.«
A uf der Straße bekam ich fast einen Schock: Die Sonne schien. Sie glänzte auf dem Kopfsteinpflaster und weckte Erinnerungen an bessere Tage. Mein Gott, als nächstes würde ich noch die Ohren spitzen und auf Vogelgezwitscher lauschen. Ich ging die Gasse vom Holy Wall hinunter zur Easter Road, der Hauptgeschäftsstraße. Die Straße war brechend voll, hauptsächlich Bauarbeiter. Die Wohnungen hier in der Gegend waren erst kürzlich in den Strudel explodierender Immobilienpreise gesaugt worden. Allein in den letzten sechs Monaten waren sie um zwanzig Prozent gestiegen; nicht mal die Nachricht über eine Kreditkrise hatte diese Entwicklung gestoppt. Der massive Zustrom an Einwanderern hatte den Immobilienmarkt dermaßen unter Druck gesetzt, dass wir praktisch von der Welt abgekoppelt waren. Jedenfalls erzählten uns das die Immobilienmakler.
Als ich noch ein kleiner Junge war, wimmelte es auf dieser Straße von alten Frauen mit Kopftüchern, die zwischen den kleinen Lebensmittelläden und Metzgereien hin und her flitzten. Und jetzt keine einzige mehr. Wohin waren sie plötzlich alle verschwunden? Und all diese Kopftücher – alle zusammen hätten ausgereicht, um damit von Schottland nach Australien zu segeln.
Ich nahm den Bus in das zerschundene, von Touristen überflutete Herz der Stadt. Ich machte mir in Gedanken eine Notiz: Nie wieder. Die Straße kochte. Salbungsvolle, fettärschige Geschäftsleute aus Nirgendwo, Arkansas, mit Ehefrauen im Schlepptau, die ausnahmslos den gleichen plastischen Chirurgen hatten wie Joan Rivers. Alle kreischten nach McDonald’s und Starbucks.
Keine Ahnung, warum ich Amerikaner so hart angehe. Heutzutage könnten es genauso gut Russen, Chinesen, Franzosen sein – als ob das in unserer globalisierten Welt eine Rolle spielte.
Was mich hingegen wirklich interessierte, war das, worüber ich auf dem Corstorphine Hill gestolpert war. Und ich wusste, wen ich dazu fragen musste; außerdem bestand die – wenn auch nur geringe – Möglichkeit, gleichzeitig etwas für mich selbst zu tun.
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