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Gelyncht - Gus Dury ; 2

Gelyncht - Gus Dury ; 2

Titel: Gelyncht - Gus Dury ; 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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etwas, was mein Vater nie verstanden hat. Seine Bildung stammte aus einer völlig anderen Welt. Unseren Welten drohte schon immer das Schicksal, miteinander zu kollidieren. Was hatte Gott sich dabei gedacht, einem harten Mann einen neunmalklugen kleinen Dreckskerl wie mich als Sohn zu schenken? Ich wusste, das war genau die Frage, die er sich sein Leben lang gestellt hatte. Noch auf dem Sterbebett hatte er sich das gefragt, er hatte es nur anders ausgedrückt. Ich wusste, ich war noch nicht so weit, meinem Vater all die Jahre zu verzeihen. Würde sich das je ändern?
    Ich setzte mich an den Küchentisch und steckte mir eine Marlboro an.
    Rasher hatte mir die Zeitungsausschnitte mit den Artikeln zum Tod des Crawford-Mädchens geschickt. Ich hatte Schwierigkeiten gehabt, sie zu lesen. Normalerweise vertrage ich solche Dinge ganz gut, aber aus irgendeinem Grund bin ich in letzter Zeit sensibler geworden. Nennen wir’s Alter, denn reifer war ich ganz sicher nicht.
    Die kleine Christine Crawford war noch ein Hosenmatz gewesen, gerade mal drei Jahre alt. Es gab so viele Bilder von ihr auf den Seiten, dass es quasi unmöglich war, sich nicht in sie zu verlieben. Ich kam von den Medien, ich wusste, dass wir immer die süßesten Aufnahmen auswählten. Das Mädchen, das alle Chrissy nannten, war ein richtiger kleiner Schatz: blonde Haare, blaue Augen, da ging jedes Elternherz auf.
    Während ich versuchte, alles über Chrissys Tod zu lesen, zog sich mir der Hals zusammen.
    Sie war mit ihrer Mutter in den Meadows gewesen – einem der beliebtesten Parks in Edinburgh. Sie gingen nur spazieren, spazieren und spielen an einem herrlichen Frühlingstag, als Chrissy hinter einen Baum lief. War nur Minuten, vielleicht sogar nur wenige Sekunden, aus dem Blick ihrer Beschützerin.
    Passanten berichteten später von einem Schrei, einem schrillen Schrei wie von einem sehr kleinen Kind. Niemand hatte gesehen, wie das Kind starb. Gott sei Dank. Als ein weiterer Spaziergänger und die Mutter des Kindes als erste am Ort des Geschehens eintrafen, bot sich ihnen ein Bild unermesslichen Blutvergießens.
    Chrissy hatte nicht die geringste Chance gehabt.
    Als Besitzer des Hundes wurde ein gewisser Thomas Fulton aus Sighthill ermittelt.
    Er hatte behauptet, nicht zu wissen, dass der Hund, ein verbotener Pitbull-Terrier, aus seinem Zwinger entkommen war.
    Ich klappte den Hefter zu. Behielt einen Ausschnitt in der Hand, einen mit einer Adresse in Sighthill.
    Meine Jacke hing neben der Tür. Ich wusste genau, was Mac und Hod zu dem sagen würden, was ich als nächstes vorhatte, aber das war eine Sache, der ich einfach nachgehen musste.

A uf der Gorgie Road war der Busfahrer gezwungen, voll in die Eisen zu steigen. Eine Horde Anarcho-Punks mit Transparenten hatte quasi die Straße besetzt und marschierte dort in fünf bis zehn Mann breiten Reihen.
    Der Busfahrer riss seine Hände hoch und ließ die Handflächen aufs Steuer krachen. »Verschwindet von der Straße, ihr Scheißhippies!«
    Ich lachte in mich hinein. Der Fahrer hatte einen Bürstenschnitt und verströmte mehr als nur einen Hauch von spießiger Reaktionär. »Was gibt’s denn?«, fragte ich. »Stoppt die Atombombe?«
    Er drehte sich um, blinzelte mich an. »Das sind Hippies.«
    Als würde das alles erklären. Das fasziniert mich immer wieder, diese Einstellung. Eine etwas schrägere Frisur ist für manche schlimmer, als einen flammenden Dreizack zu tragen. Wie war der Serienmörder Harold Shipman so lange ungestraft damit durchgekommen, all diese alten Damen umzubringen? Keine Frage: an den Seiten und im Nacken kurz. Klaro.
    Als der Busfahrer wieder in die hohen Gänge raufschaltete, fiel mein Blick flüchtig auf einige der Transparente und Plakate: Bilder von Vivisektionen an Tieren. Affen, aus deren Köpfen gewaltige Metallstangen ragten, große nässende Wunden, viel Blut und Innereien. Einfach nur entsetzlich. Mein Magen verkrampfte sich. In den letzten paar Tagen hatte ich mehr als genug Blut und Innereien zu sehen bekommen. Ich wandte den Blick ab. Dachte: Wer kann sich so was ansehen?
    Sobald ich in Sighthill aus dem Bus stieg, hielt ich die Augen nach auf dem Boden herumliegenden Spritzen auf. Mit meinen All-Stars-Turnschuhen wollte ich auf gar keinen Fall das Risiko eingehen, mir eine einzutreten. Nahm mir fest vor, schnellstmöglich meine Docs zu reinigen.
    Ich folgte einer Spur von Tesco-Einkaufswagen: verbeult, verrostet und kaputt. Angenommen, hier oben verschwinden ein paar

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