Gelyncht - Gus Dury ; 2
Leiche-auf-dem-Hügel-Problem; es reicht weit zurück. Ich hatte mich in Bücher vergraben. Am ehesten fand ich mich bei Vergil wieder: »Ohnmächtige Wut tobt hilflos und vergeblich.« Das war ich. Debs, meine Exfrau, drückte es einfacher aus: »Du lässt dein Leben an der Welt aus.«
Als ich das Pub meines verstorbenen Freundes Col übernahm, gehörte eine Wohnung dazu. Nicht das Zimmer, das ich davor immer benutzt hatte, das über dem Männerklo, das er mir gab, als ich sein Türsteher war, sondern die Wohnung, in der er mit seiner Frau gelebt hatte. Dort gab es einen Stapel Bücher, hauptsächlich religiöses Zeug, aber auch Ratgeberliteratur. Ich glaube nicht, dass sie Col gehörten, ich glaube, sie gehörten seiner Frau Bell. Sie war eine schüchterne, ruhige Frau. Ein Kämpfer ums Dasein. Ich kenne diese Sorte, denn ich kämpfe selbst.
Manche von uns Kämpfern geben auf. Ich glaube, Bell hat nicht unbedingt den Willen verloren, sie hatte ihn überhaupt nie. Ich, ich bin ein Wüterich. Das ist keine edle Haltung, es ist dumm. Ich stehe eine Stufe unter Bell. Ihre Sorte besitzt genug Verstand zu wissen, dass sich der Kampf nicht lohnt. Mir bedeutet Verlieren so wenig, dass ich den Kampf mit offenen Armen begrüße. Falls er das Ende beschleunigt, umso besser.
Als ich das erste Mal eines von Bells Büchern in die Hand nahm, warf ich es quer durchs Zimmer. Da war wieder dieser Zorn. Es hatte einen bescheuerten Titel à la Anleitung zum Glück, dazu ein Porträt des Verfassers, der mit seinem Dauerlächeln in den Weichzeichner strahlte. Aber wenn man eine Leseratte ist, dann liest man, egal ob’s der Cornflakes-Karton ist oder Jean-Paul Sartre. In einer dunklen verzweifelten Nacht erhielt ich meine Einführung in diese wirkungslose Psychologie. Sie war voller Mantras wie: »Jeden Tag geht es mir in jeder Hinsicht besser und besser.« Wiederhole das zehnmal die Stunde, jeweils zur vollen Stunde, einen Monat lang, dann bekommst du auch diesen weichgezeichneten Dauerlächel-Ausdruck, und alles ist super.
Mir drehte sich der Magen um. Leute machen Geld mit dem Elend anderer. Bell tat mir leid. Schluckte sie das? Glaubte sie, das hilft? Ich wusste, es half nicht; sie konnte sich nur noch schlechter fühlen. Ich wusste es, weil ich so viele Male »Reiß dich zusammen!« gehört hatte. Die Wirkung davon ist – ganz gegen die Absicht –, dass es einen noch näher an den Abgrund treibt. Mich betrifft das allerdings nicht – ich lebe im Abgrund.
Ich griff nach der Ginflasche. Leer.
Ich wuchtete mich hoch und ging hinunter in die Kneipe. Zum ersten Mal seit Wochen waren wir einigermaßen gut besucht. Nahm einen Hocker vorne, spielte mit einem Bierdeckel herum, bis Mac auf mich aufmerksam wurde.
»Willst du irgendwas?«
»Das Übliche.«
Er schenkte ein Guinness ein und sah zu mir herab, während ich nach der Fernsehfernbedienung angelte. Ich schaltete um.
Was Stöhnen und Seufzen zur Folge hatte.
»Gus, die Leute haben sich das angesehen.«
»Was?«
»X-Factor …«
Ich ließ den Blick über den Raum wandern: alles alte Säufer, alt genug, sich noch an richtiges Fernsehen zu erinnern. Ich hob die Stimme: »Hat sich irgendwer diese Scheiße angesehen?«
Sie antworteten im Chor. »Aye. Aye. Aye.«
»Ihr macht wohl Witze.« Ich schaltete zurück, um Simon Cowell zu sehen, der sich gerade über eine komplett vernagelte Dumpfbacke von etwa sechzehn Jahren hermachte, einen Liverpooler mit einem affektierten Gang, mit dem man eine Kleinstadt mit Strom versorgen konnte. »Euch ist doch klar, dass ihr solche Schwachköpfe nur noch bestärkt.«
»Läuft ja sonst nichts«, rief einer der Stammgäste, ein spindeldürrer Kerl in den Sechzigern mit einem Krater im Gesicht, wo eigentlich die Nase sein sollte.
»Und es wird auch nie mehr was anderes geben, wenn ihr weiter diese Scheiße glotzt … Ehrlich, ihr seid wie Rennmäuse in einem Rad. Erinnert ihr euch nicht mehr an die Zeit, als man noch Talent haben musste, um ins Fernsehen zu kommen?«
Der Liverpooler fing an loszulegen, sagte zu Simon, er läge daneben, er werde »größer noch als Robbeeee« werden.
Ich brüllte in Richtung Fernseher: »Träum weiter! Der Platz des größten Schwachkopfs der Musikbranche ist besetzt, Freundchen. Aber versuch’s doch in ein paar Jahren noch mal – du siehst genau wie der Typ aus, hinter dem sie her sind.«
Ich stand auf, brüllte: »Seht euch diese aufgeblasenen kleinen Arschlöcher an … arbeiten bei Sainsbury’s
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