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Gelyncht - Gus Dury ; 2

Gelyncht - Gus Dury ; 2

Titel: Gelyncht - Gus Dury ; 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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jungen Jahren.
    Ich hatte mal gelesen, dass er einmal darum gebeten hatte, dass man ihm den Magen auspumpte, und zwar nur deshalb, weil er »ein Gefühl hatte, es würden ekelhafte Dinge dabei herauskommen«.
    Ich hatte tiefstes Verständnis für diese Art von Selbstverachtung.
    Die folgenden Worte Kafkas hatte ich mir eingeprägt: »Weiß Gott, wie ich womöglich noch mehr Schmerz empfinden kann, denn in meinem schieren Drang, ihn mir zuzufügen, komme ich nie dazu, ihn auch wahrzunehmen.« Ich muss diesen Absatz tausendmal gelesen haben. Immer mit einer gewissen Trauer und, gefährlich, Identifikation. Ich identifizierte mich mit Kafkas Schmerz. Er wusste, er litt unter einer Krankheit, die ihn töten würde. Ich ebenfalls.
    In letzter Zeit hatte ich erlebt, wie meine Gedanken weit über ihre übliche wütende Niedergeschlagenheit hinausgingen. Ich näherte mich der Verzweiflung. Der Art, die nur ein Ende zulässt. Wie bei Kafka, dachte ich, weiß Gott, wie ich womöglich noch mehr Schmerz empfinden kann …
    Ich lag etwa eine Stunde da, bis das Licht durch die kleinen Fenster von Hods Boot zu strömen begann. Ich hatte mich entschieden, nicht mehr im Holy Wall zu bleiben, solange ich von den Bullen beschattet wurde. Ich nahm an, das Boot wäre meine beste Alternative. Hod hatte mich gewarnt, dass manche Leute Schwierigkeiten hatten, in der schwankenden Koje zu schlafen. Was das betraf, hatte ich ihn beruhigt: Als Alkoholiker gewöhnt man sich bereits frühzeitig an das schwankende Bett. Erst wenn das Bett nicht mehr schwankt, hat man Probleme.
    Ich stand auf und duschte in der kleinen Kabine. Das Wasser war lauwarm. Vergiss es, das Wasser war kalt. Das Ganzkörperbibbern folgte auf dem Fuß, aber wieder war da etwas, womit ich leben konnte. Eine weitere Begleiterscheinung meiner speziellen Krankheit, an die ich hundertprozentig gewöhnt war.
    Ich zog mir ein graumeliertes T-Shirt an, eines von Gaps besten. Es hatte diese kleine Brusttasche, die perfekt war für ein Päckchen Zigaretten. Das Ganze rundete ich ab mit einer marineblauen Dockers und meinen Docs, von denen ich Tam Fultons Blut inzwischen abgeschrubbt hatte. Es lag eine gewisse Frische in der Luft, also lieh ich mir eine Berghaus-Windjacke von der Rückseite der Kajütentür, während ich den Ofen anheizte und Wasser für einen Kaffee aufsetzte. Es war nur ein Instant-Kaffee, aber besser als das, was ich gewohnt war. Er schmeckte wie das Zeug für drei Pfund die Tasse, das man die Straße hinauf bekam. In diesem Teil der Stadt, unten am Yachthafen, befanden wir uns in Millionärsland.
    Als ich ein junger Bursche war, der sich in Leith herumtrieb, glaubten mein Bruder und ich, ein Millionär sei jemand, über den man in Büchern liest. Die Vorstellung, tatsächlich einen echten Millionär kennenzulernen, war damals genauso abwegig, wie einem Tyrannosaurus rex zu begegnen. Wenn ich mir jetzt die Anzahl von Yachten und Porsches in unserer kleinen Stadt ansah, dann betäubte das meinen Verstand mehr, als es anderthalb Flaschen Wild Turkey vermochten. Manche Leute schnitten sehr gut ab bei der Gruppenvergewaltigung, die Thatcher, Major, Blair und Brown diesem Land angetan hatten. Die Kehrseite war natürlich, dass manche exakt in der entgegengesetzten Richtung unterwegs waren.
    Ich wusste, es war nicht weit bis nach Hause, und verspürte den großen Drang, bei meiner Mutter vorbeizuschauen. Sie war inzwischen relativ alt und hatte bei unserer letzten Begegnung schwach und gebrechlich gewirkt. Ich glaubte nicht, dass sie mit dem Tod unseres Vaters gut zurechtkam; sie hätte erleichtert sein und in den höchsten Tönen jubeln sollen. Ich wusste, bei mir war das so. Aber meine Mutter war ganz anders als ich: Sie konnte vergeben.
    Ich rief an.
    Es klingelte.
    Eine junge, männliche Stimme. »Aye-aye.«
    »Wer ist da?«, wollte ich wissen.
    »Barry. Hey, wer zum Geier bist du?«
    Es war mein Neffe. Ich erkannte den Namen, aber es war schon mehr als nur ein paar Jahre her, seit ich die Jungs meiner Schwester das letzte Mal auch nur gesehen hatte. Sie waren schon immer verzogen gewesen; es klang nicht so, als wäre das über die Jahre bei dem hier besser geworden.
    »Gus hier. Sag mal, wie kannst du nur am Telefon deiner Großmutter solche Wörter benutzen?«
    Er knallte den Hörer auf den Tisch. Ich hörte, wie er gegen eine Tür schlug und nach meiner Mutter brüllte. Ich war über Zorn weit hinaus. »Hallo … Hallo …«
    Es dauerte mehrere Minuten, bis meine

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