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Gelyncht - Gus Dury ; 2

Gelyncht - Gus Dury ; 2

Titel: Gelyncht - Gus Dury ; 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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dass er auf dem Hügel lebte , würde er leicht zu finden sein. Bestimmt.
    Ich stapfte durch Sumpf und Morast. Es war ein verstörendes Gefühl, wieder in der Nähe des Ortes zu sein, an dem Moosey ermordet worden war. Der Ort, den ich einmal als Kleinod kannte, hatte sich verändert; die Stadt offenbarte mir mehr und mehr ihr wahres Wesen. Auf die brutalste Weise, die man sich vorstellen kann. Sosehr sie auch versuchten, den Ort als Kulturhauptstadt zu promoten, als el e gantes Edinburgh, ich kannte die Wahrheit doch. Die konnten sich ihre schottenkarierten Hosen, ihre Geschirrtücher mit der Burg darauf und die Keksdosen mit dem Scott Monument sonst wohin stecken, ich wusste, woraus der Laden gemacht war, und es war durch und durch verrottet.
    Ich dachte an die Absurdität meiner Situation. Korrupte Polizeibeamte wollten mir den Mord an einem Mann anhängen – einem Mann, von dem viele annahmen, dass er für den bestialischen Tod eines Kleinkinds verantwortlich war, was ihm die Gerichte allerdings nicht nachweisen konnten. Und hier war ich jetzt, in einer städtischen Parklandschaft, und versuchte, einen siebzigjährigen Zeugen aufzuspüren, der in einem der reichsten Länder Europas auf der Straße lebte. Falls wir in Edinburgh auch eine schottische Aufklärung gehabt hatten, dann hatte zumindest ich dieses Treffen verpasst. Der Zustand der Stadt weckte in mir den Wunsch, Kugeln zu spucken.
    Ich marschierte weiter, aber gegen Mittag stand ich kurz davor aufzugeben, und dann fand ich, was man in meiner Kindheit eine Höhle genannt hätte. Eine improvisierte Hütte unter einem Baum, ein altes Stück Teppichboden auf der Erde und ein paar Spanplatten zum Schutz gegen die Naturgewalten. Ich zog einen Stapel Tageszeitungen heran und baute mir daraus ein stuhlähnliches Objekt. Ich vertiefte mich in einen Roman von David Goodis, den ich dabeihatte, Der Mond in der Gosse, und wartete auf Tupacs Rückkehr.
    Ich las gerade die letzte Seite des Buches nochmals, blätterte zurück und suchte die Stelle, an der die Story quasi mit einer netten kleinen Schleife zum Abschluss gebracht wird, und freute mich, dass es diese Stelle nicht gab, als eine Gestalt aus der Ferne auftauchte. Es war ein alter Mann, gebeugt von einem schweren Rucksack auf dem Rücken und einem kleineren, nicht weniger vollen vor der Brust.
    Ich stand auf, ging ihm entgegen und winkte. »Sie müssen Tupac sein.«

E r war ein alter Säufer mit einer Nase, an der man Flaschen öffnen konnte, und er musste mindestens fünfundsiebzig sein. Sein Gesicht war durchzogen von geplatzten Äderchen, roten Flecken und den ramponierten Zügen, die man mit einem Leben auf der Straße in Verbindung bringt. Tupac strich sich mit einer knorrigen Hand über die Stirn, die Finger gelb vom Nikotin, die Nägel noch gelber. »Mein Gott, ich bin noch nie so beliebt gewesen.«
    Ich streckte die Hand aus. »Ich bin Gus … Gus Dury.«
    Er lächelte so breit, dass der einzige Zahn auf der Seite seines Mauls gründlich belüftet wurde. Er sah aus wie ein Grabstein, der locker über seinem Unterkiefer baumelte. »Der Bursche aus der Zeitung!«
    Ich spürte, wie mir eine wohlige Wärme ins Gesicht stieg. »Jepp, genau der.«
    »Ich habe Ihren Artikel gelesen, die Geschichte über den Mord.« Er gestikulierte mit einer Hand über den Hügel, als umfasse er damit seinen Privatbesitz, dann legte er seine schweren Rucksäcke ab und verstaute sie hinter der Höhle, bedeckte sie mit einer Spanplatte und einigen Zweigen. »Über die Jahre hab ich so manche von Ihren Artikeln verfolgt, aber ist schon eine ganze Weile her, seit ich Sie gesehen hab.«
    Weiß der Kuckuck, warum ich überrascht war zu hören, dass ein Penner Zeitung las, wo sie sich doch in seiner Hütte stapelten. »Ja, schön, manchmal liegt eine ziemliche Zeitspanne zwischen zwei Gläsern.«
    Tupac machte schmatzende Geräusche; ich hatte seine Aufmerksamkeit. »Jaja, so ist das manchmal«, sagte er.
    Ich versuchte, mich bei ihm einzuschmeicheln. »Ich habe mich gefragt, ob ich Ihnen wohl ein Pint ausgeben könnte … Eigentlich bin ich auf ein Schwätzchen aus, aber falls Sie die Zeit für ein Glas auf die Schnelle haben …«
    Er johlte, reagierte begeistert wie ein Fünfjähriger. »Ich nehm Ihr Angebot an, Gus Dury!«
    Die Bardame sah aus wie achtzehn, womit sie einer Altersgruppe angehörte, der ich in letzter Zeit reichlich Aufmerksamkeit schenkte. Das hatte nichts mit Spannen oder Angeifern zu tun, weit davon entfernt.

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