Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gelyncht - Gus Dury ; 2

Gelyncht - Gus Dury ; 2

Titel: Gelyncht - Gus Dury ; 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Zusätzlich zu den Hunde quälenden kleinen Dreckskerlen, nach denen ich Ausschau hielt, und dem bevorstehenden Jahrestag, an den Debs mich erinnert hatte – als bräuchte ich dafür eine Erinnerung –, beschlich mich noch dieses andauernde Gefühl meiner eigenen Sterblichkeit.
    In den letzten paar Jahren war ich schrecklich gealtert. Ich hatte es geschafft, das Stadium der aufgedunsenen, dickbäuchigen Korpulenz der mittleren Lebensjahre zu überspringen und schnurstracks in die debile Altersschwäche überzugehen. Ich wachte von quälenden Schmerzen auf, die sich von Kopf bis Fuß durch meinen ganzen Körper zogen. Allein mein Rücken brauchte jeden Morgen mindestens eine Stunde, um halbwegs funktionstüchtig zu werden. In den letzten paar Wochen hatten außerdem schreckliche Blackouts eingesetzt. Ich kannte das schon vorher vom Saufen, aber dabei war meine Erinnerung zumindest bruchstückhaft geblieben. Jetzt brachte jeder Blackout nur … das Nichts.
    Trotzdem, ich machte mir gern vor, dass alles besser würde, wenn ich nur ein paar Wochen meine Finger vom Alk ließ. Ein bisschen gesundes Essen, täglich fünf Portionen Obst und Gemüse, vielleicht – kann ich es wagen, das zu sagen – etwas körperliche Ertüchtigung. Wenn ich dann auch noch ein bisschen Sonne abbekam, wo ich schon mal dabei war, würde das sicherlich genügen, um mich wieder auf das Gesundheitslevel zu katapultieren, das ich früher mal genossen hatte.
    Ganz bestimmt würde das funktionieren.
    Einen Scheißdreck würde es.
    Ich wusste, ich hatte so lange mit meinem Körper und meinem psychischen Wohlbefinden russisches Roulette gespielt, dass ich nicht mehr zu retten war. Ich war ein gescheitertes Wrack, und noch so viel Selbstverleugnung konnte diese Risse nicht übertünchen.
    Ich zitierte William Blake: »Der Weg der Ausschweifung führt zum Palast der Weisheit.« Netter Versuch, mein Sohn.
    Ich kannte die Wahrheit in dieser Angelegenheit: Der Weg der Ausschweifung führt zum Weg der Ausschweifung.
    »Das macht dann sechs fünfzig«, sagte die Bardame.
    Ich starrte meinen neuen Kumpel an. Er sah nicht aus, als hätte er etwas gegessen. »Bisschen Fleisch auf die Knochen könnten Sie gut vertragen.«
    »Nein, nein. Das Pint reicht mir völlig.«
    Ich spürte, dass er nur höflich war. Also hakte ich nach. »Wie wär’s mit einem Teller Suppe?«
    Die Bardame unterstützte mich. »Wir haben heute schottischen Eintopf … dazu gibt’s Sodabrot.«
    Tupac schob mir seine Nase ins Gesicht. Bei seinem Atem konnte Milch sauer werden. »Vielleicht wär’ ein Teller Suppe genau das Richtige.«
    Ich merkte, dass ihm dies alles sehr peinlich war, aber er strahlte eine solche Menschlichkeit aus, dass die Bardame nicht mal sein schäbiges Äußeres zu registrieren schien, auch nicht den übelriechenden Gestank, den er verströmte. Um die Wahrheit zu sagen, wahrscheinlich hielt sie uns nur für zwei weitere Saufbrüder, die das Beste aus dem Tag machen wollten, an dem die Sozialhilfe ausgezahlt wurde.
    Sie verließ uns mit einem Lächeln. Ihre strahlendblauen Augen leuchteten. Sie war ein Herzensbrecher; mein Beschützerinstinkt erwachte. Mein Gott, du wirst alt, wenn du achtzehnjährige Mädchen ansiehst und Beschützergefühle entwickelst. Nicht zum ersten Mal machte ich mir über mich Gedanken.
    »Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, Sir«, sagte Tupac.
    »Heilige Scheiße, nennen Sie mich nicht so!«
    »Oh, tut mir leid. Da fühlen Sie sich gleich wie Ihr Vater, was?«
    Wenn es so gewesen wäre, dann hätte ihm jetzt das Gesicht wehgetan. Es gab nur sehr wenig auf dieser Erde, weswegen ich mich wie der verstorbene Cannis Dury fühlen würde.
    »Nennen Sie mich einfach Gus – das ist mein Name.«
    »Sind Sie ein Fergus oder ein Angus?«
    Ich dachte nach. »Also, offiziell heiße ich Angus … allerdings gibt es nur einen einzigen Menschen auf der Welt, der mich so nennt.«
    »Das dürfte dann wohl Ihre Mutter sein.«
    »Stimmt genau.«
    »Mütter sind kostbare Geschöpfe. Sorgen Sie immer gut für sie.«
    Ich wusste genau, was er meinte; mir gefror das Blut in den Adern. Ich hatte mich alles andere als gut um meine Mutter gekümmert, seit mein Vater gestorben war. Klar, ich hatte nie mit dem Mann übereingestimmt – er war ein Tyrann gewesen, das böse Ungeheuer meiner Kindheit –, aber meine Mutter hatte ihm ihr Leben gewidmet, und nachdem er jetzt fort war, nun, es brachte nichts, weiter darüber nachzudenken.
    Tupac bekam feuchte Augen.

Weitere Kostenlose Bücher