Gemeingefährlich: Eine Erzählung aus der Weltraumserie Lucy (German Edition)
ein Mensch. Dann darf ich Gefühle haben. Ich habe Angst!«
»Nerinia, natürlich bist du ein Mensch. Das habe ich schon gespürt, als ich dich das erste Mal gesehen habe. Egal, was die sagen, du darfst Angst haben. Du darfst alle Gefühle der Welt haben, genauso wie einen freien Willen.«
»Dann will ich, dass du bei mir bleibst.« In ihrer Stimme lag eine Trotzigkeit, die sein Herz ein wenig höher hüpfen ließ. Wäre er sich nicht schon sicher gewesen, wüsste er es jetzt mit absoluter Sicherheit. So sprach kein Roboter. Nerinia war ein Mädchen, seine Freundin.
»Hör zu, ich muss jetzt gehen, sonst suchen sie mich. Wenn sie mich finden, finden sie auch dich.« Gurian redete schnell weiter, bevor Nerinia protestieren konnte. »Ich bin, so bald es geht, zurück. Das verspreche ich dir.«
Sie küssten sich wild zum Abschied. Gurian war sich bewusst, dass sie sich ziemlich unbeholfen anstellten. Keiner von ihnen hatte schließlich eine Einführung von einem erfahrenen Freund bekommen.
***
In der Küche hielt sich niemand auf, als Gurian eintrat. Das verwunderte ihn nicht. Er war schließlich fast zwei Stunden zu spät für das gemeinsame Abendessen.
»Gurian, bist du da?«, rief Kelinro aus seinem Zimmer. Das war ungewöhnlich. Er musste auf ihn gewartet haben.
»Ja, hier in der Küche!« Gurian hatte beschlossen, sich, so gut er konnte, zu benehmen. Zu freundlich durfte er allerdings auch nicht sein, das würde erst recht auffallen.
Kelinro erschien in der Küche und Rinata folgte ihm. Was sollte das jetzt werden, ein Tribunal?
»Ich habe mich verspätet, tut mir leid«, entschuldigte er sich vorsichtshalber.
»Wir sollten demnächst wieder das gemeinsame Essen einhalten. Das gilt für alle!« Kelinro warf Rinata einen vorwurfsvollen Blick zu.
»Jetzt müssen wir aber mit dir über etwas anderes sprechen«, wechselte Rinata das Thema.
Gurian sah sie fragend an. Trotz seiner Vorsätze konnte er einen abweisenden Gesichtsausdruck nicht verhindern. Was hatte er jetzt wieder falsch gemacht?
»Es hat einen Vorfall in der Station gegeben«, erklärte Rinata. »Da draußen läuft ein gewalttätiger Roboter herum. Ich möchte, dass du die nächsten Tage im Haus bleibst, bis die Gefahr beseitigt ist.«
Der Haushaltsroboter stellte Gurian das Abendessen auf den Tisch. Der Junge spürte, wie durstig er war. Er hatte seit dem Mittag nichts mehr getrunken. Nachdem er das Glas geleert hatte, stocherte er missmutig in dem Gericht herum. Die beiden Erwachsenen schwiegen und sahen ihn fragend an.
»Ich werde mit Sicherheit nicht den ganzen Tag in dieser Bude hocken. Da könnt ihr mich gleich erschießen«, erwiderte er schließlich wütend.
»Es geht nicht darum, dir etwas zu verbieten, sondern um deine Gesundheit, vielleicht sogar um dein Leben«, griff Kelinro schlichtend ein, bevor Rinata aufbrausen konnte. Er erzählte Gurian von dem Angriff der Maschine auf den Wachmann und die darauf folgende Flucht.
»Da draußen war nichts. Ich bin den ganzen Tag im Außenbereich gewesen und habe keinen Roboter gesehen«, sagte Gurian trotzig. Es entsprach schließlich der Wahrheit, seiner zumindest.
»Nun sei vernünftig, es geht doch nur um ein paar Tage. Selbst wenn sie die Maschine nicht finden, wird sie in ein paar Tagen verhungert sein. Diese Geräte können sich schließlich nicht selbst versorgen. Danach kannst du wieder solange herumstreifen, wie du möchtest«, erklärte Kelinro in diesem pädagogischen Ton, den Gurian mehr hasste als irgendetwas sonst.
»Diese Heuchler«, dachte Gurian. Kein Mensch konnte sich in dieser Gesellschaft selbst ernähren. Sollten sie Beeren sammeln? Selbst wenn jemand auf Thoris, seinem Heimatplaneten, wusste, welche Pflanze man essen konnte und welche nicht, so kannte sich kein Mensch mit den Gewächsen auf Parad aus.
Aber das war nicht der Grund, warum er sich verschluckte. In seinem ganzen Leben hatte er sich noch nicht um seine Mahlzeiten kümmern müssen. Immer befand sich ein Haushaltsroboter in seiner Nähe, der alle seine Bedürfnisse an Nahrung erfüllte. Er hatte schlichtweg nicht daran gedacht, dass es Nerinia in ihrem Versteck anders erging. Einen elenden, selbstsüchtigen Egoisten verfluchte er sich, dass er seine Freundin ohne Essen und Trinken in dem Loch zurückgelassen hatte.
Ab sofort musste alles anders werden. Er durfte nicht mehr nur an sich selbst denken. Es gab jetzt jemanden, der auf ihn angewiesen war, ein Mädchen auf der Flucht, das er
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