Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
Gänsehaut.
Er musste vorsichtig sein. Keinesfalls durfte er Großmutter wissen lassen, dass das hier ein privater Anruf war – noch dazu von einem Mädchen.
Es gab eine Regel.
Regel 99
Keine Benutzung elektronischer Kommunikationsmittel, insbesondere (aber nicht ausschließlich) Telefone und Telexapparate. Ausnahmen beschränken sich auf den von einem Erwachsenen angeordneten Gebrauch oder die Anforderung von medizinischer oder polizeilicher Hilfe und Feuerwehr im Notfall. Eingehende Anrufe persönlicher Natur müssen höflich, aber umgehend beendet werden.
Eliot hasste diese Einschränkungen, aber er würde nicht die Nerven verlieren wie Fiona. Er musste es schlauer anstellen.
Er hatte mehr zu verlieren.
»Wenn alles in Ordnung ist«, sagte Julie, »kommt ihr dann morgen zur Arbeit? Und wir sind immer noch zum Kaffee verabredet.«
Eliots Herzschlag beschleunigte sich. »Natürlich.«
»Ich habe den ganzen Tag daran gedacht.«
Großmutter drehte sich endlich um und warf einen Blick aufs Telefon. Eine weitere Warnung war nicht nötig.
»Du kannst wahrscheinlich jetzt nicht frei reden«, sagte Julie; eine gewisse Listigkeit schlich sich in ihre Stimme. »Ich verstehe schon. Belassen wir es dabei … fürs Erste.«
»Danke«, flüsterte Eliot. »Wir kommen morgen. Kein Problem.«
»Bis dann, Süßer.« Sie legte auf.
Eliot legte den Hörer auf die Gabel. »Das war die Arbeit. Wir sind mitten in unserer Schicht gegangen. Sie wollten wissen, ob es uns gut geht.«
»Das ist nett«, sagte Cee.
Großmutter sagte nichts und starrte das Telefon an, als könnte sie die Leitung entlangspähen und Julie am anderen Ende sehen.
»In einer Stunde gibt es Abendessen«, sagte Großmutter. »Sag das deiner Schwester, für den Fall, dass sie zu uns stoßen will.«
Großmutter zog sich in ihr Arbeitszimmer zurück und schob die Türen hinter sich zu.
Eliot stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
Cee legte eine zitternde Hand auf seine. »Musst du mir irgendetwas sagen?«, flüsterte sie. »Es kann ein Geheimnis bleiben.«
Eliot wusste, dass er Cee vertrauen konnte, aber er schüttelte den Kopf. Das Letzte, was er wollte, war, sie mit seinen Geheimnissen zu belasten. Das würde nur dazu führen, dass sie in Teufels Küche geriet, wenn Großmutter dahinterkam.
Und Großmutter kam immer dahinter.
Cee trat zurück und seufzte. »Wir können eine kleine Party feiern, um auf euren Erfolg anzustoßen. Wir haben Kuchen aus dem Pink Rabbit .«
Eliot warf einen Blick den Flur hinunter auf Fionas geschlossene Tür und wusste, dass es heute Abend kein Fest geben würde. »Das klingt gut. Ich schätze, ich mache mich besser mal frisch.«
Er kniete sich hin und ordnete die Zettel, die Fiona heruntergeworfen hatte. Es waren eine Seite mit Logarithmusübungen und ein Aufsatzthema über Kapstadt in Südafrika. Halb so viel, wie sie normalerweise aufbekamen. Großmutter war großzügig.
Cees Hände krümmten sich, und sie griff nach ihm. Es sah aus, als ob sie ihm etwas sagen wollte. Doch stattdessen lächelte sie ihr zittriges Lächeln und sagte nur: »Dann geh
schon, mein Schatz. Mach dich frisch. Ich habe das Essen bald fertig.«
Alles in Eliots Welt war auf den Kopf gestellt worden, aber Cee war wie sonst auch: immer für ihn da. Vielleicht etwas senil, aber liebevoll.
Sie zockelte in die Küche.
Und doch hatte Eliot das Gefühl, dass sie nicht direkt zur Familie gehörte – nicht wie Onkel Henry, Großmutter oder Tante Lucia. Sie verhielt sich nicht wie die anderen.
Aber das war ja dumm. Sie war schließlich seine Urgroßmutter und so sehr Teil seiner Familie wie Fiona. Oder etwa nicht?
Eliot hob seinen Rucksack hoch und ging zu Fionas Tür.
Er klopfte leise. »Fiona?«, flüsterte er.
Es kam keine Antwort.
Er schob ihr die Hausaufgaben unter der Tür durch und zog sich in sein Zimmer zurück.
Eliot schloss die Tür hinter sich und sperrte dann ab. Der winzige Schieber knirschte, als er einrastete. Eliot hatte das Schloss noch nie benutzt – aber er hatte ja auch bisher noch nie solche Geheimnisse zu verstecken gehabt.
Ungeduldig warf er seine Hausaufgaben auf den Tisch. Er war so gehorsam. Cecilias »braver kleiner Junge«. Wie er es verabscheute.
Eliot wurde genauso wütend wie Fiona – vielleicht sogar noch wütender -, er zeigte es bloß nicht. Warum auch? Fiona hatte in ihr Zimmer rennen müssen, weil niemand gegen Großmutter bestehen konnte.
Und doch war es etwas gewesen: die kleinste Rebellion
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