Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
winzige Regung von Interesse huschte über Großmutters Gesicht.
Cee verschränkte die Hände und holte Luft.
»Ja«, flüsterte Eliot. Dann fand auch er seine Stimme und sagte: »Sie waren dazu gedacht, uns vor der Familie zu beschützen, nicht wahr? Uns … normal wirken zu lassen. Aber jetzt wissen sie von uns und wir von ihnen; was für einen Sinn haben sie also noch?«
»Wir dachten«, sagte Fiona, »dass es vielleicht an der Zeit wäre, einige der Regeln zu lockern.«
»Ihr glaubt also, dass das alles ist, wozu die Regeln dienen?«, sagte Großmutter. » Euer Schutz?«
Zum ersten Mal in ihrem Leben wagte Fiona es, eine direkte Frage von Großmutter zu ignorieren, und drängte weiter. »Wir finden, dass es Zeit ist für eine Veränderung.«
»Wir haben alles getan, was du verlangt hast«, sagte Eliot;
auch sein Tonfall wurde nun gereizt. »Und wir haben auch die erste Prüfung der Familie bestanden. Heißt das nicht, dass wir verantwortungsvoll genug sind, um selbst ein paar Entscheidungen zu treffen?«
Fiona war sich nicht sicher, was Großmutters angestrengter Gesichtsausdruck bedeutete. Konnte es sein, dass sie tatsächlich unsicher war?
Draußen verdeckten Wolken die untergehende Sonne. Es wurde kalt im Zimmer.
Großmutter schloss halb die Augen, und ihr Gesicht verhärtete sich zu einer Maske. »Es ist wahr, dass ihr an der Schwelle zum Erwachsenenleben steht, aber jetzt dürft ihr euch noch weniger denn je ablenken lassen. Die Regeln bleiben.« Sie machte eine schneidende Gebärde, um zu unterstreichen, dass die Diskussion vorüber war und ihre Entscheidung endgültig feststand.
Fiona zitterte. Sie konnte nicht fassen, dass sie noch heute Morgen Eliot gegenüber Großmutter und ihre Regeln verteidigt hatte. Sie wollte rufen, dass das nicht fair war.
Aber sie wusste schon, wie Großmutters Antwort darauf lauten würde: Viele Dinge im Leben sind nicht fair .
Sie starrte Großmutter in die Augen, wollte einen kleinen Sieg … selbst, wenn es nur der war, sie dazu zu bringen, als Erste zu blinzeln.
Es war, als würde man in stahlgraue Wolken starren, in denen sich am Horizont ein Gewitter zusammenbraute, und Fiona hatte eine ungefähr so große Chance, Großmutter zu beeinflussen, wie sie eine hatte, die Hand auszustrecken und das Wetter zu verändern.
Das Telefon klingelte und unterbrach den einseitigen Willenskampf. Fiona sah beiseite.
Cee hob den Hörer ab. »Hallo? … Ja? … Oh ja – einen Moment, bitte.«
Sie streckte das Telefon erst Fiona und dann Eliot hin, unsicher, für wen es war. »Es ist die Arbeit.«
Großmutter nickte Fiona zu. »Bring sie dazu, die Leitung freizumachen. Wir erwarten einen Anruf vom Rat.«
Fiona stieß ein tiefes Seufzen aus. Sie hatte genug davon, dass Leute ihr in jedem Augenblick ihres Lebens sagten, was sie tun sollte. Also gehorchte sie Großmutter nicht, sondern marschierte in ihr Zimmer. Im Vorbeigehen streifte sie den Stapel Hausaufgaben auf dem Tisch und verteilte sie auf dem Fußboden.
Sie brauchte ihre Pralinen, um mit dieser Familie zurechtzukommen.
Fiona waren die Hausaufgaben, Ringo’s und sogar Großmutter gleichgültig. Welche Rolle spielte es schon, ob sie die Prüfungen des Rats bestanden, wenn sie doch nur Gefangene ihrer eigenen Familie bleiben würden?
34
Kein braver, kleiner Junge mehr
Eliot nahm das Telefon. Großmutter sah der davonstürmenden Fiona nach. Er dachte, sie würde ihr befehlen, zurückzukommen und die Papiere aufzusammeln.
Doch Großmutter sagte nichts. Ihre Augen folgten Fiona und schienen die Wände zu durchbohren, nachdem seine Schwester die Tür zugeknallt hatte.
Ohne sich zu ihm umzudrehen, sagte sie: »Nun, Eliot? Nimm den Anruf an.«
»Hallo?«, sagte Eliot ins Telefon.
Julies süße Stimme drang durch den Hörer: »Geht es dir gut? Der Notfall in eurer Familie …?«
»Es hat sich alles erledigt.« Eliot drückte das Telefon ans Ohr und hoffte, dass Großmutter nicht mithören konnte.
»Ein Glück«, sagte Julie. »Du sahst so aufgeregt aus, als ihr gegangen seid. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Und natürlich auch um Fiona.«
Ihre Worte rührten Eliot. Cee hatte viel Aufhebens um ihn
und Fiona gemacht, als sie aus der Kanalisation zurückgekehrt waren, aber es hatte sich einstudiert angefühlt. So, als hätte Cee schon gewusst, dass sie erfolgreich gewesen waren.
Julies Besorgnis war irgendwie echter.
Sie seufzte am Telefon, und Eliot stellte sich ihren Atem an seinem Hals vor. Er bekam eine
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