Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
sich so bemüht hatte, sich mit Alkohol und Elend umzubringen?
Wie überlebte überhaupt irgendein Mensch?
Na ja, natürlich überlebte am Ende keiner von ihnen.
Louis lachte und breitete die Arme dramatisch vor seinem nicht vorhandenen Publikum aus. » Welch ein Meisterwerk ist der Mensch! «, sagte er mit übertriebenem Gestus. » Wie edel durch Vernunft! Wie unbegrenzt an Fähigkeiten! In Gestalt und Bewegung wie bedeutend und wunderwürdig … «
»… im Handeln wie ähnlich einem Engel!« , sagten die Schatten und vollendeten das Hamlet -Zitat für ihn.
»Ah«, sagte Louis und wandte sich der Dunkelheit zu. »Ich wusste, dass die Ironie unwiderstehlich sein würde.«
Aber das Lächeln, das sich auf Louis’ Gesicht zu bilden begann, erstarrte.
Dieser Instinkt hatte ihm in der Vergangenheit gute Dienste geleistet. Er konnte seine Gefühle verbergen, während er die Lösung für irgendeine Komplikation fand.
Nur, dass das hier keine bloße Komplikation war. Es war vielleicht sein Ende.
Ein Teil der Schatten löste sich und trat über die Linien und Symbole hinweg, die hätten verhindern sollen, dass so etwas geschah. Die Schwärze formte sich zu einem Mann, der doppelt so breit war wie ein Profiringer; in seinem schwarzen
Anorak und seinen Anzughosen aus Polyester steckten mehr Muskeln als in einer ganzen Herde Longhornrinder. Sein breites, samoanisches Gesicht war unverkennbar.
Es war Urakabarameel, der Herr der Schatten und des Flüsterns, der Hund des Hades, der oberste Geheimdienstoffizier der Mohnkönigin. Und Louis’ Cousin um drei Ecken.
Uri hatte die Kraft, ihn zu zerquetschen, wenn er nur ein einziges Mal den Bizeps anspannte. Und zu welchem anderen Zweck hätte er sonst hergeschickt worden sein sollen? Seine Gebieterin zählte zu Louis’ ärgsten Feinden.
Er war froh, dass sie nicht selbst gekommen war. Wie peinlich wäre es gewesen, sich in dieser heruntergekommenen sterblichen Hülle vor ihrer unwiderstehlichen Schönheit niederzuwerfen?
Aber Uri … Er hatte ihn in der Vergangenheit schon viele Male zum Narren gehalten. Dazu brauchte er keine außergewöhnlichen Kräfte.
»Sei gegrüßt, Cousin«, sagte Louis; es gelang ihm, normal zu klingen, als sei das hier irgendeine Zufallsbegegnung im Park. »Mögest du alles zerstören, was du berührst.« 44
Auf Uris Gesicht malte sich Erstaunen. »Auch dir Lügen und Gruß, Cousin.« Seine Lippen verzogen sich leicht vor Abscheu. »Also ist es wahr. Du bist am Leben.« Er schnüffelte. »Aber als Sterblicher?«
»Gerade, als ich dachte, ich könnte nicht tiefer fallen …« Louis verneigte sich leicht vor Uri. »Ich genieße es ja so sehr, die Familie zu enttäuschen!«
Auch Louis schnupperte, allerdings nicht so auffällig. Er roch Brathähnchen, brennendes Metall und den leichten, wundbrandähnlichen Geruch von Sealiahs vergifteter Klinge
Saliceran. Seltsam, dass sie Uri gestattete, eines ihrer kostbarsten Besitztümer zu tragen.
»Ich nehme an, die Situation zu Hause ist in meiner Abwesenheit interessant geworden? Oder bist du schlicht aus persönlicher Rache hier?«
»Interessant, ja«, grollte Uri. »Rache? Leider nein. Wir haben geschäftlich miteinander zu tun.«
»Oh? Welches Geschäft wünscht die Mohnkönigin denn nur mit mir, dem niederen Dreck, abzuschließen?«
Uri zuckte zusammen, als sei ihre Erwähnung ein physischer Schlag. Dann versuchte er unbeholfen, das Thema zu wechseln: »Wie bist du …« Er wedelte mit einer massigen Hand. »… so geworden?«
Louis hielt inne und fragte sich, ob er irgendwie eine ausreichend glaubhafte Lüge zustande bringen konnte, entschied sich dann aber dagegen. Die Wahrheit würde für mehr Verwirrung sorgen. »Recht einfach: Ich habe mich in eine Frau verliebt. Ich bin sicher, dass du all die Gerüchte gehört hast. Sie hat mir – metaphysisch wie metaphorisch – das Herz herausgerissen. Ich war so überrascht wie jeder andere, als ich herausfand, dass ich es tatsächlich brauche.«
»Ich verstehe«, sagte Uri und verstand eindeutig überhaupt nichts.
»Ich weiß, dass du Verständnis für die Qualen bitter gewordener Liebe hast.«
Uris Brauen zogen sich zusammen.
Der Geruch nach Geflügel wurde stärker, und Louis erinnerte sich, wann er zuletzt diesen speziellen Vogelduft wahrgenommen hatte.
»Beal«, murmelte Louis. »Du kommst also in seinem Namen? Was ist deiner kostbaren Königin zugestoßen?«
Uris Augen weiteten sich; er ballte die Hände zu Fäusten und trat näher
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