Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
er in Wahrheit unser Vater ist.«
Robert sah erstaunt aus über ihre Worte – und auch verletzt.
»Warte mal«, sagte Eliot. »Vielleicht gab es einen guten Grund dafür, dass er es uns nie gesagt hat.«
»Welchen denn?«, fragte Fiona.
»Na, zuallererst Großmutter. Ich wette, sie hat ihn abgeschreckt.«
Fiona schürzte die Lippen. »Also hat er nur heimlich auf uns aufgepasst und darauf geachtet, dass es uns gut geht? Das glaube ich nicht. Er gehört zu der anderen Familie. Ich wette, er will irgendetwas.«
Robert lehnte sich gegen die Wand und starrte sie finster an; Fiona sah ihn allerdings nicht an.
Irgendetwas stimmte nicht mit Robert; wie bei der Verkehrtheit, die Onkel Henrys Auto durchdrang. Eliot spürte, dass Robert heute nicht ganz er selbst war.
»Wir sollten Louis wenigstens die Chance geben, alles zu erklären«, sagte Eliot zu ihr.
Er wartete darauf, dass Fiona antwortete, und beobachtete sie, während sie nachdenklich die gemalte Tür anstarrte. Sie konnte so kalt sein, wie Großmutter manchmal; dann wieder überraschte sie Eliot und war beinahe anständig.
»Gut, ihr habt Recht«, sagte sie schließlich leise. »Öffne sie. Sehen wir uns dieses Tal an.«
Robert atmete auf. »Du tust das Richtige, Fiona. Die Familie ist das Wichtigste.« Er hob warnend die Hand. »Tretet aber ein bisschen zurück. Es könnte schwierig werden.«
Er sah die Tür an und umfasste den Griff.
Die Farbe knisterte auf den Ziegeln wie plötzlich gefrierendes Wasser. Die schiefen Filzstiftumrisse wurden mit einem Schlag gerade. Ziegel in der Wand sprangen vor und pressten sich zusammen, und winzige Steinsplitter platzten ab und bohrten sich in Eliots ungeschützte Arme.
Das fluoreszierende Licht im Raum erlosch, und nur noch ein mattes Leuchten strahlte von den Rändern der Tür aus.
Robert rüttelte am Türgriff und mühte sich ab, die Tür zu öffnen. Er setzte einen Fuß an die Wand und zog.
Eliot spürte, wie sein Blickwinkel kippte, als ob der Raum plötzlich nach unten hin abfiel … zur Tür … immer steiler, bis sein Innenohr sicher war, dass er am Ausgang eines tiefen Lochs stand.
Fiona trat näher an ihn heran und griff mit einer Hand nach ihrem Gummiband.
Eliot spürte Vibrationen, als ob tausend mikroskopisch kleine Saiten in der Luft rings um sie reißen würden. Er konnte beinahe sehen, wie der Raum sich auflöste.
»Fäden«, flüsterte Fiona ihm zu. »Siehst du sie?«
»Nein«, flüsterte er zurück, »aber ich spüre sie.«
Robert grunzte, und die Nähte seiner Lederjacke rissen.
Ein leises Zischen ging von der Tür aus, verwandelte sich in das donnernde Tosen heftigen Windes.
Robert zerrte die Tür auf.
Ein Strudel aus Luft, Nebel und Schnee wirbelte um sie herum. Er kam zum Erliegen und hinterließ die Atmosphäre still, kalt und klar. Eliot konnte seinen Atem sehen.
Die Tür führte nicht zur Rückseite des Letzten Sonnenuntergangs , noch sonst irgendwo nach draußen; zumindest nicht nach draußen ins sonnige Kalifornien.
Hinter dem Türrahmen befanden sich Schneewehen und ein vereister Wald. Es war Nacht. Polarlichter flackerten zwischen blitzenden Sternen und überzogen den Himmel mit Violett und Silber. Inmitten des Waldes lag ein Dorf; die Turmspitzen der Kirche und die Dächer waren mit Weihnachtsbeleuchtung, japanischen Papierlaternen und tausend Kerzen geschmückt. Eliot hörte Leute singen und lachen, Hörnerschall, Freudenschreie,
aufmüpfige Rufe und zersplitterndes Glas. Feuerwerkskörper schossen in die Luft und explodierten zu Funkengarben.
Eliot roch Apfelwein mit Gewürzen und frische Honigkuchen, zitterte aber, als er die eisige Luft in seine Brust sog.
Auch Fiona zitterte.
Robert zog sich die Lederjacke aus und legte sie ihr um die Schultern.
»Das Neujahrstal«, erklärte Robert. »Es ist ein nimmerendendes Fest. Sie sitzen für immer fest, nur ein paar Sekunden vor Mitternacht am 31. Dezember.«
»Wer sitzt fest?«, flüsterte Eliot. Er hielt die Stimme gesenkt, weil er Angst hatte, dass die Leute im Dorf ihn hören würden … und irgendetwas sagte ihm, dass das nicht gut gewesen wäre.
»Es sind Leute, die sich verlaufen haben, aus der Zeit herausgefallen sind«, flüsterte Robert zurück. »Ein Ort, an dem sich das vergessene Tick-Tack sammelt – hin und her, her und hin, nie ganz Gegenwart oder Zukunft.«
»Wie ist Louis da gelandet?«, fragte Fiona. Sie trat auf die Tür zu, streckte die Hand aus und fing ein paar Schneeflocken auf.
»Louis war
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