Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
sich niedrige Hügel und ein Nutzgarten mit windgebeugten Olivenbäumen. In die Mitte schmiegte sich eine Reihe absteigender konzentrischer Kreise, ein Amphitheater. Audrey hatte dort Sophokles und Shakespeare gesehen und unter den Sternen Jim Morrisons Gedichten gelauscht.
Heute würde es keine Poesie geben.
Stattdessen würde der Rat abgehalten werden: ein Urteil, und eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass auf den alten Steinen Blut vergossen werden würde.
Audrey zögerte, bevor sie die Brücke betrat.
War sie bereit? Nach sechzehn Jahren des Versteckspiels und der Zurückhaltung? Es war eine so kurze Zeit, und dennoch hatte sich so viel verändert. Konnte sie ihnen gegenübertreten? Wenn sich dies hier nicht in ihrem Sinne entwickelte, war sie dann bereit, Henry und die anderen zu töten? Alle anderen?
Sie entschied sich binnen eines Augenblicks: Wenn es um Eliots und Fionas Leben ging, ja. Dann konnte sie es. Und würde es auch tun.
Henry sprach; der Wind schien ihm die Worte von den Lippen
zu reißen. »Ich rate dir zur Vorsicht – wenigstens bis du gesehen hast, wer hier ist.«
Es klang sehr nach einer Drohung des normalerweise nicht bedrohlichen Henry, und das gefiel ihr nicht.
Sie trat auf die Brücke. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Der Wind zerrte an ihren Kleidern und brachte die Steine des Brückenbogens zum Klingen, als sie darüberschritt.
Als sie den Fuß aufs Land setzte, kamen die Winde zum Erliegen.
Es war, als wäre sie in ein versiegeltes Zimmer getreten, ruhig: Die Luft war nicht einfach nur still, sie fühlte sich tot an auf Audreys Haut.
Audrey stieg hoch erhobenen Kopfes die Stufen des Amphitheaters hinunter; sie hatte ihre übliche Maske ironischer Selbstbeherrschung aufgesetzt.
Im inneren Ring saßen vier Leute und warteten auf sie.
Ihr Blick fiel auf einen breitschultrigen Mann, der einen Freizeitanzug und ein bis zur Mitte seines massigen Brustkorbs aufgeknöpftes Hemd trug. Sein Gesicht war scharf geschnitten und gebräunt. Langes, dunkles Haar lockte sich bis auf seine Schultern, und ein Dschingis-Khan-Schnurrbart fiel ihm über das kantige Kinn. Er war ungeheuer attraktiv … nicht, dass er etwas von solchen Dingen verstanden hätte. Er hieß Aaron.
Audrey begriff Henrys Warnung sofort.
Aaron war imstande, sie aufzuhalten, wenn sie sich gegen den Rat stellte. Nur wenige konnten mit ihren Fähigkeiten mithalten, und Aaron war einer davon. Wenn sie aneinandergerieten, würden sie wahrscheinlich beide sterben. Und wenn sie tot war, wären die Kinder ungeschützt.
Sie hatten ihre Macht unter Kontrolle.
Aarons schwarze Augen erwiderten ihren stahlharten Blick mit einer Mischung aus Wertschätzung und Entschlossenheit. Er wusste, dass sie verstand: Wenn nötig, war er bereit zu sterben.
Sie atmete aus, hielt ihre Furcht und ihren Zorn im Zaum und versuchte, sowohl buchstäblich als auch im übertragenen Sinne, nicht den Kopf zu verlieren.
Wie hatten sie Aaron hier mit hineingezogen? Durch Bestechung, Erpressung oder Schikanen? Er hasste die Politik des Rats beinahe ebenso sehr, wie sie es tat.
Zu Aarons Rechter befand sich ein alter Mann, dessen Kopf von einem schneeweißen Haarkranz umgeben war. Er trug Badelatschen, Shorts und ein Grateful - Dead -T-Shirt. Er saß im Schneidersitz da; um ihn herum lagen Notizbücher und astrologische Tabellen verstreut. Er lächelte und nickte mit einer einstudierten Naivität, die er, wie Audrey wusste, nie besessen hatte.
Das war Cornelius, ein langjähriges Mitglied des Rats der Liga, einer der Weisesten unter ihnen. Er behielt diese Weisheit jedoch für sich und nutzte sie für seine eigenen, undurchschaubaren Zwecke.
Audrey betrachtete ihn weder als Verbündeten noch als Feind.
Der Mann links von Aaron war Gilbert, eine athletische Gestalt mit goldenem Haar und Bart. Er stand auf, um sie zu begrüßen; seine kräftigen Arme waren weit zu einer Umarmung ausgebreitet.
Audrey hob eine Hand und hielt ihn auf.
Es war echte Zuneigung, daran zweifelte sie nicht, aber sie konnte die Berührung eines anderen jetzt nicht dulden. Gilbert hatte sie einst geliebt, und es wäre nur allzu leicht, sich in seine Kraft sinken zu lassen … und ihre eigene aufzugeben.
Er nickte und verbeugte sich; anscheinend verstand er.
Gilbert mischte sich dann und wann in die Politik, aber nie ernsthaft. Er nahm selten etwas ernst. Wenn er hier war, um ein so ernstes Thema zu diskutieren, dann nur, weil man ihn zwangsweise dazu herangezogen hatte.
Er warf
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