Gemini - Der goldene Apfel - Nylund, E: Gemini - Der goldene Apfel - Mortal Coils
volljährig? Bevor ich ein Urteil über sie fälle, möchte ich gern wissen, ob sie noch Kinder sind.«
»Wir entscheiden hierüber, bevor sie das Erwachsenenalter erreichen«, sagte Lucia. »Denn dann geht der Ärger los.«
Henry fiel mit ein: »Ihr Alter spielt keine Rolle. Andere werden handeln, ohne einen Gedanken an die Pubertät oder Ähnliches zu verschwenden.«
Aaron verschränkte bei der Erwähnung dieser »anderen« die Arme vor der Brust, und der alte Cornelius schaute von seinen Notizbüchern auf; er hatte die ohnehin schon faltige Stirn sorgenvoll krausgezogen.
Im Vergleich zu der »anderen« Familie waren die Schwierigkeiten dieser Familie bloßes Geplänkel.
Audrey antwortete: »Fiona ist noch kaum eine Frau. Eliot steht an der Schwelle zum Mannesalter.«
»Wann wurden sie geboren?« Cornelius hielt einen Bleistift über einen Notizblock. »Nenn mir bitte den genauen Zeitpunkt.«
»Fiona wurde als Erste geboren«, sagte sie. »Vor auf den Tag genau fünfzehn Jahren um acht Uhr vierunddreißig abends. Pariser Zeit. Eliot kam zehn Minuten später auf die Welt.«
Cornelius kratzte sich das Ohr, während er ein paar Zahlen notierte. »Löwen«, murmelte er. »Viele Planeten in Konjunktion. Das Mädchen ist die Dominante des Zwillingspaars. Sehr stark. Das sind sie beide. Der Junge wird Künstler werden.« Er blätterte mehrere Bücher und Tabellen durch; die Seiten flatterten unter seiner Berührung.
»Diese Kinder sind keine Bedrohung«, sagte Audrey. »Sie sind von den Familien und ihrem Potenzial isoliert worden. Sie sind vollkommen normal.« Wenn sie an all das dachte, worauf Eliot und Fiona schon hatten verzichten müssen, kam es
ihr schrecklich falsch vor, dass ihre Opfer nun womöglich völlig vergeblich gewesen waren.
»Wie könnten sie ›normal‹ sein«, fragte Gilbert, »wenn sie doch eine derart außergewöhnliche Mutter und einen solchen Teufel von einem Vater haben?«
Henry machte eine gleichgültige Handbewegung. »Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Sie sind intelligent und höflich, aber ansonsten ziemlich langweilig.«
»Weder ihr Alter noch ihre Kräfte sind das Problem«, sagte Aaron. »Sondern ihre Abstammung.« Er nagelte Audrey mit seinem finsteren, starren Blick fest. »Die Tatsache, dass sie von beiden Familien abstammen – das ist das Einzige, worum es hier geht.«
»Da hast du Recht«, sagte Lucia. »Welche Rolle spielt es, wie sie erzogen wurden? Ich bin mir sicher, dass du außerordentlich gute Arbeit geleistet hast, Schwester. Aber letztendlich geht es doch um unsere vertraglichen Verpflichtungen und ihr Blut.«
Cornelius legte seine Berechnungen hin. »Ihre Sterne bilden ein außerordentlich verwirrendes Muster.« Er nickte Henry zu. »Sogar noch mehr als deine, fürchte ich.«
»Die Sterne«, murmelte Gilbert, »haben mich noch nie zur Wahrheit geführt. Was heißt das also, alter Mann?«
»Es heißt, dass sie im Gleichgewicht sind«, erklärte Cornelius ihnen, »wissenschaftlich gleichwertig, so dass sie auf der Kippe zwischen der einen und der anderen Richtung stehen.« Er fummelte in seiner Tasche herum, um eine Streichholzschachtel daraus hervorzuziehen. Er steckte eines an und setzte seine Berechnungen in Brand. »Sie werden für eine Familie ein großer Segen sein.«
Gilbert fragte: »Sollten wir sie dann nicht für unsere Zwecke nutzen?«
»Wenn eine Waffe so leicht gegen einen gerichtet werden kann«, antwortete Aaron, »sollte man diese Waffe besser zerstören.«
»Sollten wir nicht zunächst einmal an den Vertrag denken?«, fragte Henry. »Wenn die Kinder genetisch eher nach
ihrer Mutter kommen, steht es uns zu, über sie zu richten. Der Rat muss das Gesetz durchsetzen …« Er ließ diese letzten Worte in der Luft hängen und sah Lucia an.
Das hier war Theater. Audrey spürte die Schleier der Täuschung, die Lage über Lage angehäuft waren, um die Wahrheit zu ersticken. Doch was Aaron über ihre Abstammung gesagt hatte – und Cornelius darüber, dass sie im Gleichgewicht waren -, blieb ihr im Kopf haften.
Lucia sagte: »Was, wenn sie weder nach ihrer Mutter noch nach ihrem Vater kommen? Hybriden sind, wie Cornelius meint? Was, wenn sie sich im Gleichgewicht zwischen beiden Familien befinden? Was sind dann unsere rechtlichen Möglichkeiten hier? Die eine Familie darf sich nicht in die Angelegenheiten der anderen mischen. So lautet das Gesetz.«
»Zur Hälfte von der einen, zur Hälfte von der anderen Familie«, sagte Cornelius nachdenklich.
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