Gemischte Gefühle
wurde übel. Seine Nerven vibrierten. Der Magen spielte nicht mehr mit. Gurgelnd erbrach er sich in die Toilette, wischte sich den Mund ab und riß zitternd das letzte Zigarettenpäckchen auf. Dann der allmorgendliche Griff zum Telefon. Brombach sagte „Ja?“
„Gerber“, sagte Gerber. „Herr Brombach, ich …“
„Ich habe nichts für Sie, Gerber“, sagte Brombach mit einer Stimme, die jedem Nachrichtensprecher zur Ehre gereicht hätte. In jedem einzelnen Ton schwang unendliches Bedauern mit. „Aber Sie wissen ja selbst, daß zur Zeit überall gewisse Einsparungen vorgenommen werden.“
Den Teufel weiß ich, dachte Gerber. Überall werden neue Serien geplant. Mit flacher Stimme sagte er: „Ich bin wieder völlig in Ordnung. Ich habe eine Menge neuer Ideen. Wirklich … Ich habe Sachen auf Lager, die die Einschaltquoten der anderen auf den Nullpunkt drücken werden. Haben Sie meine Exposes gelesen? SensiTivideo würde sich alle Finger danach lecken. Ich …“
Er hatte plötzlich den Eindruck, als würde Brombach ihm gar nicht richtig zuhören. Der Mann am anderen Ende der Leitung war kalt wie ein Fisch, war es immer gewesen, ein Bürokrat, wie er im Buche stand, eine Kreatur seines allmächtigen Chefs Taplinger, der ganz allein und nach eigenem Gutdünken darüber entschied, wer geheuert und wer gefeuert wurde. Gerber war mit Brombach noch nie klargekommen. Wieso war ihm das bis heute nur niemals aufgefallen?
„Herr Gerber“, sagte Brombach, und Gerber hörte, wie der Mann am anderen Ende der Leitung tief Luft holte, „Sie wissen doch genau, daß ich keinen meiner Mitarbeiter hängen lassen würde, wenn es in meiner Macht stünde, etwas für ihn durchzusetzen. Ich kann aber nicht einfach über den Kopf der …“
„Wir haben mehr als fünf Dutzend Sendungen zusammen gemacht“, sagte Gerber in einem plötzlichen Aufwallen von Mut. „Ich habe zwei Serien für die Phantasmagoria produziert und einen Haufen fremder Stoffe bearbeitet. Sie können doch jetzt nicht so tun, als sei ich irgendein Zulieferer, der der Redaktion lediglich auf den Wecker gegangen ist.“
„Sie sind ein Zulieferer“, sagte Brombach und hüstelte. „Jedenfalls unter dem Gesichtspunkt, daß wir mit Hunderten von Fantasten zusammenarbeiten. Sie haben große Zeiten gehabt, Herr Gerber. Sie sollten sich an den Gedanken gewöhnen, daß es auch einmal weniger gute gibt. Man muß damit fertig werden.“ Gerber mußte husten. Seine Lungen schmerzten. Das Zimmer begann sich um ihn zu drehen. „Ich habe sogar wieder Strom.“
„Gut für Sie“, erwiderte Brombach. Er schien plötzlich ungeduldig zu werden. „Aber im Moment ist wirklich nichts zu machen. Ich würde Ihnen ja wirklich gern helfen, aber die Lage erfordert nun mal …“
Eine andere Stimme sagte plötzlich aus einiger Entfernung: „Herr Brombach, bitte zu Herrn Taplinger.“
„Oh“, machte Brombach. Die Überraschung war natürlich ebenso einstudiert wie jedes andere Wort, dessen er sich bediente, denn Gerber wußte genau, daß er die zweite Stimme per Tonband einspielte. „Ich habe leider keine Zeit mehr. Eine wichtige Konferenz. Rufen Sie mich doch ein anderes Mal wieder an. .,“
Klick.
Gerber sagte kein Wort. Er legte den Hörer auf die Gabel, überlegte einen Moment, drückte die Zigarette in einem überquellenden Aschenbecher aus und wählte erneut. In seinem Bauch hockte ein eiskalter Klumpen, der sich immer weiter ausbreitete.
Tüüüt – tüüüt – tüüüt!
„SensiTivideo“, sagte eine Mädchenstimme. „Bitte?“
„Geben Sie mir den verantwortlichen Spielfilmredakteur“, sagte Gerber und nannte seinen Namen.
„Bedaure“, sagte das Mädchen, „aber Dr. Junghans ist im Moment nicht im Hause. Können Sie in drei Tagen noch einmal anrufen?“
„Nein.“ Gerber spürte jetzt echte Wut. Er war nicht einmal sicher, ob er nicht mit einem Automaten sprach. „Geben Sie mir seinen Stellvertreter.“
Es summte in der Leitung. Dann: „Harras.“ Die Stimme war kalt und erinnerte Gerber an die Stimme, die Brombach benutzte, wenn er mit unmittelbaren Untergebenen sprach. „Was kann ich für Sie tun?“
„Mein Name ist Gerber“, wiederholte Gerber. „Stephan Gerber. Ich habe für Brombach von der Phantasmagoria gearbeitet. Zwanzig Stücke pro Jahr. Harte Sachen. Action, verstehen Sie?“
„Na und?“ fragte Harras. Ihn schien das nicht im geringsten zu beeindrucken.
„Ich habe keine Lust mehr“, sagte Gerber. „Ich will jetzt mal was
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