Gemischte Gefühle
mich nicht. Verschwinden Sie.“
„Halt, stop!“ rief der Mann und rannte hinter ihm her. „Ich habe das Recht, danach zu fragen. Ich vertrete die Mietgebühren-Eintreibungsgesellschaft. Sie wissen genau, daß Sie dazu verpflichtet sind, dem Hauseigentümer Auskunft über Ihre wirtschaftlichen Verhältnisse zu geben, wenn Sie mit der Miete im Rück …“
„Sie sind nicht mein Hauseigentümer“, sagte Gerber. „Und jetzt lassen Sie mich in Ruhe.“ Er nahm, ohne den anderen weiter zu beachten, seinen Schritt wieder auf.
„Herr Sanders“, sagte der Fremde und blieb an Gerbers Seite, „hat einen Vertrag mit unserer Gesellschaft abgeschlossen. Wir sind dazu verpflichtet …“
Gerber holte aus und versetzte dem Mann einen Schlag auf die Nase. Der Dünne kippte um, verlor das Gleichgewicht und stürzte über die kaum vierzig Zentimeter hohe Umzäunungsmauer in die Wupper. Es klatschte laut. Erschreckt sah Gerber sich um und überquerte die Straße.
Den ganzen Morgen über hatte Christian im Wartezimmer des Freiwilligenmeldebüros verbracht. Er war aufgeregt und ängstlich, gleichzeitig aber bestrebt, seine Mitbewerber nichts von der Löchrigkeit seines Nervenkostüms merken zu lassen. Es kostete ihn einige Kraft, den unbeteiligten Gesichtsausdruck beizubehalten, wenn er in die Gesichter der anderen sah. Es waren sieben außer ihm, die heute gekommen waren, um sich die Testergebnisse abzuholen. Drei waren bereits wieder gegangen; einer davon mit zusammengebissenen Zähnen, als wolle er damit ausdrücken, er habe von Anfang an gewußt, daß man seine Qualitäten nicht richtig werde einschätzen können. Die beiden anderen – drahtige junge Burschen, denen man die sportliche Betätigung auf den ersten Blick ansah – schienen außerordentlich zufrieden mit ihren Bewertungsbogen gewesen zu sein. Ein Hauptfeldwebel hatte sie sofort in Empfang genommen. Wahrscheinlich befanden sie sich jetzt schon auf dem Weg in die Grundausbildung.
Ein neuer Kandidat wurde aufgerufen. Christian musterte die beiden Männer, die nach ihm an der Reihe waren, und versuchte sich vorzustellen, was sie jetzt wohl dachten. Einer von ihnen, ein braungebrannter Bursche, dem das Selbstvertrauen förmlich aus den Augen sprang, musterte ihn mit einem abschätzenden Blick. Christian wurde sich erschreckt seiner ungeputzten Schuhe bewußt. Der Blick des anderen wanderte jedoch weiter, als hätte er nichts wahrgenommen und blieb schließlich auf dem dritten Mann haften, der in einer merkwürdig starren Haltung unter dem Plakat saß, das ihnen versprach, sie würden in der Welt herumkommen, sollten sie sich dazu entschließen, Soldat zu werden. Der Blick des hochgeschossenen Blondschopfs ging in die Leere, und die Art wie er die Finger der rechten Hand auf dem Armbandsteuergerät des linken Unterarms ruhen ließ, deutete darauf hin, daß er sich – ungeachtet der Umgebung – einen SensiFilm ansah.
Christian schüttelte unmerklich den Kopf, zog eine Programmzeitschrift aus dem rechts neben ihm stehenden Ständer und schlug die Seite auf, die das heutige Programm anzeigte. Er verzog enttäuscht die Lippen, als er feststellte, daß gerade in diesem Moment auf Kanal eins eine neue Folge von Das Combat-Team lief. Der Blonde war als letzter gekommen, also hatte er noch genügend Zeit, um diese Episode voll mitzubekommen. Christian ließ die Programmzeitschrift sinken. Er wäre dem Beispiel des anderen gerne gefolgt, aber die Zeit drängte, bald würde man ihn hereinrufen – und außerdem wußte man niemals, ob es nicht noch einen ultimativen Test gab, der hier im Wartezimmer stattfand. Wer garantierte ihm, daß man ihn und die anderen nicht durch ein verstecktes Kameraobjektiv beobachtete, um zu erfahren, wer in Wartepositionen dazu neigte, unaufmerksam zu werden?
Die Tür öffnete sich, und der Mann, der vor Christian hineingegangen war, kam heraus. Er schwenkte fröhlich ein beschriebenes Papier und signalisierte mit einem idiotischen Grinsen, daß man ihn akzeptiert hatte.
Christian spürte, daß seine Nerven zu flattern begannen. Für ihn ging es um alles oder nichts. Um festes Einkommen oder Sozialamt. Seine Kehle war wie ausgedörrt.
„Herr Christian bitte“, sagte eine gelangweilt klingende Stimme.
Christian stand auf. Für ihn stand alles auf dem Spiel. Er hatte zuerst die Schule und dann die Lehre abgebrochen. Er wollte kein Maurer sein, sondern an Dingen teilnehmen, deren Erledigung nach echten Männern verlangte.
Als er das
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