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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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Büro betrat, in das Gesicht des verdorrten Beamten sah, der geschäftig einen Papierstapel von einer Schreibtischecke in die andere schob, und den Hämmern seiner Schläfen lauschte, war er überzeugt davon, daß man ihm seine Angst ansehen konnte.
     
    Das vergilbte Plakat verhieß:
    NEHMEN SIE TEIL
    STEHEN SIE NICHT ABSEITS
    DAS NEUE SENSIFILM-SYSTEM …
    Der Rest fehlte, aber Gerber wußte auch so, was man den Teilnehmern versprochen hatte. Er verharrte einen Augenblick, tastete nach Zigaretten, stellte fest, daß er sie zu Hause vergessen hatte, und dachte: Und jetzt? In seinem Unterbewußtsein tauchte die nebelhafte Erinnerung an eine Kneipe auf, in der er vor seiner steilen Karriere einige lustige Abende verbracht hatte. Er war nicht mehr dazu gekommen, sie aufzusuchen; hatte stets Arbeitsüberlastung vorgetäuscht, um nicht mehr dort hingehen zu müssen, selbst wenn alte Freunde ihn einluden. Er schämte sich, als er daran dachte, wie sehr er sich geniert hatte, mit denen zusammenzutreffen, deren Interesse über ein paar abendliche Bierchen und eine Knobelrunde nicht hinausging. Als Phantasmagoria seine erste Produktion gesendet hatte, war er noch einmal dagewesen. Die wenigsten schienen seinen Film gesehen zu haben; und wenn doch, wollten sie nicht darüber sprechen. Gerber hatte den Eindruck gehabt, daß er sie mit Blondie genau dort gepackt hatte, wo sie nicht gepackt werden wollten: an ihren Schwänzen. Die Einschaltquoten hatten eindeutig belegt, daß der Streifen angekommen war; es hatte sogar sieben Wiederholungen gegeben. Aber darüber sprechen hatte niemand mit ihm gewollt.
    Er bog in eine öde Gasse ein, blickte sich um und stellte aufatmend fest, daß ihm niemand folgte. Dies hier war eine reine Glasscherbengegend, und normalerweise hätte er sich nicht so weit aus dem Stadtkern herausgetraut, aber der aufdringliche Bursche von der Mieteintreibungsgesellschaft hatte nach dem Sturz in die Wupper keinen Laut mehr von sich gegeben. Ob er ertrunken war? Quatsch. Das Wasser war kaum mehr als einen halben Meter tief. Eher war er verbrüht worden. Aber geschah das, ohne daß man vor Schmerzen aufschrie?
    Gerbers Zähne schlugen hart aufeinander. Er machte zehn Schritte nach links, dann sah er das Leuchten hinter den Scheiben der kleinen Kneipe. Es gab sie also immer noch. Als er eintrat, drehte sich niemand nach ihm um. Vier oder fünf übernächtigt wirkende Männer standen an der Theke und knobelten. Ein schlankes Mädchen mit kurzgeschnittenem Haar zapfte gerade ein Pils. An einem der Tische saß ein Pärchen, bei dessen Anblick Gerber nicht sicher war, ob nicht zumindest sie in der horizontalen Branche tätig war. Der Junge, der neben ihr saß und mindestens eine Hand unter ihrem Rock hatte, schien sturzbetrunken zu sein.
    Er wurde wortlos bedient, stürzte ein großes Bier hinunter und verlangte ein neues. Die Knobelbrüder sahen kurz auf. Kein bekanntes Gesicht. Gerber wollte das Mädchen am Zapfhahn nach einigen Bekannten fragen, unterließ es dann aber doch. Er trank das zweite Bier mit Genuß und spürte, wie ihm kalter Schweiß ausbrach. In seinem Schädel begann es zu ticken. „Ich hätte gern noch ein Bier“, sagte er zu dem Mädchen und fügte, als er ihren mürrischen Blick auf sich gerichtet fühlte, hinzu: „Wenn es Ihnen nichts ausmacht.“
    Es mußte jetzt kurz nach eins sein. Gerber fischte in seinen Taschen nach einem Fünfmarkstück und zog sich eine Schachtel Zigaretten. Der blaue Dunst richtete ihn ein wenig auf, und es gelang ihm, den einen oder anderen klaren Gedanken zu fassen.
    „Spielste einen mit?“ fragte einer der Knobler. Gerber winkte ab und bestellte sich statt dessen noch einen halben Liter. Allmählich wurde er wach. Die Schmerzen in Magen und Brust verschwanden. Seine Sinne waren einerseits hochkonzentriert, andererseits vernahm er die Stimmen der Umstehenden wie durch einen Wattebausch. Schade, daß Martin nicht hier war. Mit ihm hatte man sich ausgezeichnet unterhalten können. Nächtelang und sturzbesoffen.
    Irgendwann spürte Gerber einen stechenden Schmerz in der Hüfte. Jemand hatte ihn angerempelt. Die erste Reaktion, die er empfand, bestand aus heißer Wut, aber er beherrschte sich, weil er ohnehin nur den kürzeren gezogen hätte. Der Betrunkene, der gegen ihn gestürzt war, murmelte etwas und verschwand auf der Toilette.
    Ich sollte jetzt besser aufhören, dachte Gerber in einem lichten Moment und fragte sich, ob er überhaupt noch genügend Geld hatte,

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