Gemischte Gefühle
Chance sein, sich zu profilieren. Und da waren die geknechteten Hilfssachbearbeiter, Aktenträger und Treppenterrier, die jetzt auch mal zuschlagen durften.
Eine einzige große Familie von Killern. Unseren täglichen Faschismus gib uns heute.
Während Dr. Hartinger mit seinen Jagderfahrungen auf Hoch- und Niederwild prahlte, sah ich Roussel an, der bisher kein Wort gesagt hatte und Blondies schmachtende Blicke ignorierte. Er sah krank aus.
„Ich finde das zum Kotzen“, sagte ich zu ihm.
„Ja, ja, aber die Meckerei nützt nichts.“ Er wirkte ungeduldig und explosiv. „Wir müssen was tun.“
„Aber was? Sollen wir ihnen etwa die Waffen abnehmen? Mit Gewalt?“
„Warum nicht?“ sagte er langsam. „Warum nicht.“
„He, da ist wieder einer!“ schrie Klein und deutete nach vorn.
Ein Eingeborener war entnervt aus dem Wald gesprungen und lief nun schräg vor dem Wagen her. Er mußte verrückt sein. Er war einfach nicht zu verfehlen.
Dr. Hartinger stellte sich breitbeinig hin und zielte auf den Rücken des Flüchtenden. Es war glatter Mord.
Ich sprang auf und trat ihn ins Kreuz. Mit einem überraschten Aufschrei kippte er über Bord, und ich wünschte ihm, daß er unter die Räder kam. Sein Gewehr flog durch die Luft.
Roussel schnappte es mit einem schnellen Griff. Er rief dem Filipino etwas zu, der daraufhin wieder im Wald verschwand.
„So, und jetzt schmeißt eure Waffen weg“, keuchte er und schwenkte die Gewehrmündung über die anderen Jäger. „Das ist kein Spaß. Ich knall’ euch alle ab, wenn ihr nicht spurt. Los, wird’s bald!“
Mit bleichen Gesichtern und vorsichtigen Bewegungen warfen sie ihre Schießprügel auf die Erde.
Roussel grinste und blies eine Locke aus seiner Stirn. In diesem Augenblick glich er einem jungen Gott.
Die Kugel erwischte ihn in der linken Brustseite und wirbelte ihn um die eigene Achse. Er brach zusammen, ohne einen einzigen Schuß abgegeben zu haben.
Ich stürzte zu ihm hin.
Er lag auf dem Rücken. Auf seinem T-Shirt breitete sich ein großer, roter Fleck aus. Seine Brust hob und senkte sich in krampfhaften Stößen. Er atmete laut und schmerzhaft, wie eine Frau in den Wehen. Sein Gesicht glänzte vor Schweiß. Das Leben wich aus ihm, wie sich eine Wolke vor die Sonne schiebt.
Er starrte auf eine Palme am Waldrand, auf den weiten, tiefblauen Himmel.
„Oh islands in the sun“, flüsterte er. „Ein Traum. Ein Traum.“
Sein Atem blieb stehen wie eine abgelaufene Uhr.
Als der Idiot, der ihn erschossen hatte, vom Landrover sprang und sein Gewehr auf mich richtete, sah ich ihn nur groß an.
Im Jahre des Herrn neunzehnhundertsechsundneunzig – zum dritten
SOLIDARITÁ
So stand es in roter Farbe an der Fassade des Botschaftsgebäudes, das einer großen ausländischen Macht gehörte.
Der letzte Buchstabe, das Ä, war unfertig und endete in einem wilden Schlenker. Die Farbe war noch frisch und tropfte an der Wand herunter wie eine Blutspur.
Ein paar Tropfen fielen auf das in Agonie verzerrte Gesicht des Indiopriesters. Aber er merkte es nicht. Er war schon tot, als die Nationalgardisten immer noch auf ihn einprügelten.
Happy-End. Aber für wen?
Ich saß in einem bequemen Ledersessel. Eine Cuba Libre stand auf einem Tablett neben mir. Sie hatten mich nicht gefesselt. Aber es war trotzdem ein Verhör.
Nicolay schaute mich freundschaftlich über die Gläser seiner randlosen Lesebrille hinweg an.
„Sie wollen also das, was hier passiert ist, tatsächlich vor den Augen der Weltbevölkerung breittreten?“
„Da können Sie Gift drauf nehmen!“ sagte ich. Es hatte entschlossen klingen sollen, aber es kam ziemlich schwächlich. Ich hatte Angst. „Was hier geschehen ist, ist so ungeheuerlich, daß es jeder erfahren muß. Ich werde es an die Presse weitergeben.“
„Passen Sie auf, an welche Zeitschrift Sie sich wenden. Sie könnte uns gehören“, empfahl er mir milde.
Seine Gelassenheit beunruhigte mich. In meinen Eingeweiden schienen Ameisen zu krabbeln. Automatisch nahm ich einen Schluck aus meinem Glas. „Es wird auf jeden Fall rauskommen. Sowas läßt sich nicht verheimlichen. Irgendjemand wird reden.“
Nicolay sah seine gepflegten, sauberen Hände an. „Nun, das glaube ich nicht. Sehen Sie, es gibt nur eine Handvoll Menschen auf dieser Insel, die wirklich wissen, was vorgefallen ist. Die anderen wissen nur Fragmente. Das heißt, man kann ihnen alles einreden, was nur halbwegs plausibel ist. Eine plausible Lüge war schon
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