Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
Vom Netzwerk:
schlimmer kommen können“, sagte er schließlich knapp, während sich das Chaos in seiner makellos gestylten Brille spiegelte.
    Er sprach extrem leise – ein Statussymbol, das sich viele Top-Manager zulegen, um zu zeigen, daß sie es nicht nötig haben, ihre Stimme zu heben, damit man auf sie hört.
    „Dem kann ich nicht zustimmen, Herr Nicolay“, sagte ich. „Schauen Sie sich doch um. Das sind alles Leichen. Wenn nicht physisch, dann wenigstens psychisch. High und total geschockt. Wer weiß, wann die wieder normal werden. Wenn überhaupt.“
    Nicolay machte eine ungeduldige Geste. „Ach Gott, die Leute … Das war eben höhere Gewalt. Nicht vorhersehbar. Politisch motivierte, kriegsähnliche Aggression von außen. Vertraglich sind wir da völlig aus dem Schneider. Steht im Kleingedruckten. Aber die Gebäude sind in überraschend gutem Zustand.“
    Er sagte das ganz gelassen. Wahrscheinlich war er noch stolz auf seine Neutronenbombenmentalität.
    „Ja, das finde ich auch. Da haben Sie ganz recht, Herr von Nicolay“, schleimte Klamm eilfertig hinterher.
    Mir ging richtig das Messer in der Tasche auf, als ich diese beiden ehrenwerten Herren anschaute.
    „Ich glaube, daß Sie unter diesen Umständen künftig auf meine Mitarbeit verzichten können“, schnappte ich. „Es gibt Grenzen, ein Mindestmaß an Anstand …“ Ich wußte vor Zorn gar nicht, was ich ihm sagen sollte.
    Nicolay sah mich an, wie ein Millionenschieber einen kleinen Straßenräuber anschaut. Im Rahmen seiner Möglichkeiten wirkte er belustigt.
    „Sie also auch, Rossi.“ Er sah flüchtig zu Roussel hinüber. „Na gut. Die Spreu sondert sich vom Weizen. Wer sich die Hände nicht schmutzig machen will, der erntet auch nichts. Klamm, würden Sie Rossis Position übernehmen können?“
    „Ja, ja, ja.“ Klamm verschluckte sich fast vor Dynamik. „B-b-besser“, blubberte er.
    Nicolay schmunzelte väterlich. „Wir werden ja sehen.“
    Ich fühlte mich plötzlich innerlich sehr frei. „Na, Klamm“, sagte ich locker und piekste mit dem Zeigefinger in seinen Wabbelbauch, „da haben Sie sich ja klammheimlich Ihren Traumjob unter den Nagel gerissen, wie?“
    Für einen Augenblick glaubte ich, er wollte mich vors Schienbein treten. „Passen Sie auf, Rossi“, knirschte er, „ich kann Sie in Arrest …“ Seine Augen wurden plötzlich groß. Er deutete über meine Schulter.
    „Ein Plünderer!“
    Ich fuhr herum. Irgendein verrückter Bursche in schlabbrigen, weißen Klamotten rannte mit einem Mehlsack auf der Schulter und einer Flasche in der Hand am Supermarkt vorbei.
    Nicolay schnippte mit dem Finger.
    Der Uniformierte hob seinen langläufigen Colt und schoß einmal.
    Der Mehldieb überpurzelte sich wie ein Hase. Seine Beute plumpste zu Boden. Die Flasche zerschellte, der Sack riß auf und überpuderte ihn weiß.
    Nicolays Gorilla rannte auf ihn zu, riß ihm die Arme auf den Rücken und setzte ihm die Waffe an die Schläfe. Er erinnerte mich an Pressefotos von Verhören gefangener Guerillas.
    „Ein Filipino“, sagte Roussel erstaunt, als wir uns den Gefangenen näher anschauten.
    „Was soll das denn?“ zischte Klamm. „Auf der ganzen Insel ist kein Filipino. Nur Touristen und unsere Leute.“
    Roussel beugte sich über den Mann und redete beruhigend auf ihn ein, erst in spanisch, dann in einer anderen Sprache. Der Verletzte antwortete stockend.
    „Was sagt er?“ drängte Nicolay.
    Roussel schüttelte den Kopf. „Verrückt. Er sagt, er gehört zu den Eingeborenen, die ursprünglich auf der Insel wohnten. Sie haben sich nicht evakuieren lassen, sondern haben sich im Urwald versteckt. Sie gehen nicht weg. Sie sagen, es sei ihre Insel.“
    „Und jetzt beklauen uns die Schufte, wie?“ Klamm war voll gerechter Entrüstung.
    „Ein billiger Ausgleich dafür, daß wir ihnen die Insel geklaut haben“, murmelte ich.
    „Wir haben sie nicht geklaut, sondern ganz rechtmäßig vom philippinischen Staat gekauft“, sagte Nicolay scharf.
    „Okay, dann war’s eben nicht Diebstahl, sondern Hehlerei. Schließlich gehört das Land ja ihnen und nicht dem Staat.“
    Nicolay sah mich an und notierte mich in Gedanken auf seiner schwarzen Liste. „Darauf kommen wir noch zu sprechen“, sagte er. Er stieß den Filipino mit dem Fuß an. „Der Bursche hat uns angegriffen. Er hat unser Leben und unser Eigentum gefährdet.“
    Ich starrte in das zuckende, mehlverschmierte Gesicht dieses armen Teufels, den der Hunger in unsere angeschlagene

Weitere Kostenlose Bücher