Gemischte Gefühle
noch „Scheißdreck“, weil nämlich jedes zweite Wort eines Schriftstellers, das nicht zur Veröffentlichung gedacht ist, aus dem Fäkalbereich stammt, und in diesem besonderen Fall beruht sein Mißmut auf dem Umstand, daß wahrhaftig vor acht Uhr morgens das Telefon klingelt.
Aber wie ärgerlich ein so früher Anruf auch sein mag, wie hoch auch die Wahrscheinlichkeit, daß es sich um eine unerfreuliche Nachricht handelt, als Schriftsteller geht man trotzdem an den Apparat, denn es könnte ja jemand an der Strippe hängen, der von einem Text die Filmrechte zu erwerben wünscht (obwohl die Aussichten gleich Null sind); und wenn nicht, na ja: Welche Hiobsbotschaften werfen einen Schriftsteller noch um? Jedenfalls nimmt euer Autor den Hörer ab, und meldet sich mit der Brummigkeit eines beleidigten Brummbärs.
Wer ruft an? Ist es der hirnlose Schwätzer Selim Schmilblick? Die Witwe Pomrath? Ein anonymes Arschloch, das Gift und Galle spuckt und droht? Ein Mann von einem anderen Planeten, der auf gute Zusammenarbeit hofft? Eine strammärschige Blondine, die leidenschaftlich das Verlangen vorträgt, ihm die Hand küssen zu dürfen? Nein, es ist seine leibliche Schwester, die sich nach monatelangem Schweigen dazu aufgerafft hat, seine Telefonnummer zu wählen. „Hör mal“, sagt sie mit ihrer introvertiert-brüchigen Stimme, „Günther ist heute nacht in die Klapsmühle gekommen.“
Euer beliebter Science Fiction-Autor zweifelt nicht im geringsten am Wahrheitsgehalt der Mitteilung, weil er weiß, daß seine leibliche Schwester Henriette viel zu blöde ist, um so etwas zu erfinden. Er ist auch nicht im mindesten erschüttert, da er niemals bloß einen Augenblick lang gezweifelt hat, daß es mit seinem weltfremden Schwager, der sich seit jeher mit solchem Quatsch wie Ufos, versunkenen Superkulturen, Göttern aus dem All, Grenzwissenschaften, Okkultismus und Kabbalistik befaßte, eines Tages so kommen müsse. Allerdings ist er im Handumdrehen übellaunig, denn ihm dämmert unverdrängbar der Eindruck, daß jetzt beträchtliche Scherereien bevorstehen. Schließlich ist er das einzige geistig normale Mitglied der Familie, und sobald etwas passiert, lastet die gesamte Verantwortung auf ihm, weil er allein zu überlegtem Handeln imstande ist. „Meine Fresse“, sagte er, obwohl er begreift, wie sich das ergeben hat, „wieso denn das?“
„Ich bin nicht deine Fresse“, antwortet seine leibliche Schwester, „und wenn du noch einmal so etwas zu mir sagst, hau ich dir eine Stricknadel durch die Eier, klar?“
„Aber, aber, liebes Schwesterlein“, entgegnet der geschilderte Science Fiction-Autor, „was spuckst du für böse Worte? War ich nicht immer wie ein Bruder zu dir?“ (Genauso beschissen benahm er sich auch immer, so daß sich jeder Widerspruch erübrigt.) „Tscha, das ist ja … Na, was erwartest du nun eigentlich von mir?“
„ Was ich von dir erwarte?“ fragt sie im schrillen Tonfall aller, die ihr Lebtag am Rande der Hysterie verbringen. „Ich erwarte von dir, daß du sofort aufkreuzt und hier nach dem rechten schaust. Bist du vielleicht mein leiblicher Bruder oder nicht?“ Sie spricht wie eine leibliche Schwester, die sich sehr wohl dessen bewußt ist, daß ihr leiblicher Bruder sich nicht darauf versteht, ihr irgend etwas zu verweigern. Liebes Brüderlein, lautet in Wahrheit ihr Ersuchen, bürste mir sofort meinen Teddybär ab! „Ja, was denkst du dir eigentlich?“ Ihre Sprache gleicht dem Kriegsgeschrei eines Wurms.
„Ich komme so schnell wie möglich.“ Von der Zahnbürste in seiner Linken – in der rechten hält er verkrampft den Hörer – tropft Zahnpasta, ein Stalaktit aus weißen Bläschen, träge, widerwärtig lau wie Sperma, erzeugt wahrscheinlich einen Fleck auf dem Teppichboden, der einer von vielen Flecken wäre: echten Spermaflecken, Schmutz- und Rotweinflecken; alle anderen Flecken, das weiß man ja von den verschiedenen konfessionellen und staatlichen Prä-Big-Brothers, sind abwaschbar. „Das ist ja eine schöne Scheiße“, redet euer liebenswerter Science Fiction-Autor vor sich hin, als er den Hörer aufgelegt hat. „Mann, wie wird dieser Scheißmist bloß wieder ausgehen.“ Tautologische Wortbildungen wie „Scheißmist“ zählen zur sogenannten dichterischen Freiheit eines Schriftstellers. Aber die Gedanken eures Schriftstellers weilen gegenwärtig ja gar nicht beim Schreiben. Ihm ist jetzt glasklar, daß er heute, nach diesem unseligen Anruf, zum Schreiben keine Zeit
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