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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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gewisse Ratlosigkeit hindert ihn daran, schlichtweg nach Kaffee zu fragen: Er weiß nicht, ob er seiner von Hysterie gehetzten leiblichen Schwester in dieser Situation so etwas zumuten kann. Er wendet sich unschlüssig hin und her, windet sich auf der Stelle, hebt die Hände, läßt sie sinken: Hier nach dem rechten schauen, das kann nur heißen, wieder gehen und statt dessen die Handwerker kommen lassen. „Hast du inzwischen irgend etwas unternommen?“
    „Ja, meinen Psychiater verständigt.“
    „Was für ein Quatsch! In der Psychiatrie sind doch genug Psychiater!“
    „Es versteht sich wohl von selbst“, entgegnet des Autors leibliche Schwester leicht gekränkt, „daß es sich um einen Psychiater unseres Vertrauens handeln muß.“
    „Ich hege zu deinem Psychiater nicht mehr Vertrauen“, erwidert euer liebenswürdiger Autor mit unverhohlenem Spott, „als die Fliege zur Spinne.“ Er stutzt und zieht sein Notizheftchen hervor, um sich diese sehr schöne Wendung aufzuschreiben. Der Psychiater des Vertrauens seiner leiblichen Schwester ist ein Scharlatan und Parasit nach US-amerikanischem Vorbild. Seit einiger Zeit ist es wieder hochaktuelle Damenmode, beim Psychiater in Behandlung zu sein, und das Gewerbe dieser vampiristischen Lebewesen blüht. Angesichts des unverändert desolaten Zustands der Menschen und ihrer Verhältnisse stößt euer Schriftsteller, der an den Fortschritt, das Gute, die Liebe, das Vaterland und den Apfelkuchen glaubt, einen vernehmlichen Seufzer aus; sein Blick verweilt auf einem geborstenen Pflanzengefäß aus braunem Ton, von einer Fensterbank gefegt: Blumenerde und Kies liegen unterm Heizkörper verstreut, Nestfarne, Brunfelsien und Crossandren sind zertreten und nur noch ein kümmerlicher Haufen Abfall. Sollten sich Generationen von Gelehrten, Dichtern, Philosophen, Staatsmännern, Wissenschaftler, Revolutionären und Politikern umsonst abgestrampelt und versucht haben, der Herrenrasse dieses Planeten ein Mindestmaß an Verstand zu verschaffen? Noch immer rennen die Menschen, sobald sich auf ihrem Lebensweg irgendwelche Schwierigkeiten einstellen, statt ihr Gehirn zu beanspruchen, zu ihren Schamanen, Pfaffen und Psychiatern. Aber euer unverzagter Science Fiction-Autor wird weitermachen. Er weiß, daß die Menschheit keine Hoffnungen braucht, sondern eine Zukunft. „Am besten schalten wir sofort meinen Anwalt ein, sonst hält man ihn dort länger fest als nötig.“
    „Nein! Nur das nicht! Keinen Anwalt! Sie werden ihm aus Rache Elektroschocks geben. Bloß keinen Anwalt!“ Seine Schwester legt die Hände unterm kaktusblütenroten Haar an ihre Schläfen und verdreht die Augen himmelwärts, als sei ihr leiblicher Bruder, euer vielbeachteter Science Fiction-Autor, verrückt geworden, nicht ihr versponnener Ehemann, den das Suchen nach kryptischen Botschaften verschollener Kulturen ja früher oder später umnachten mußte. Sie schneidet eine Miene, als könne sie seinen Anblick unmöglich länger ertragen, macht auf dem Absatz kehrt und geht in die Küche. Euer Autor schließt sich ihr an und wird unvermittelt auf den Kühlschrank aufmerksam, der zu dem halben Dutzend Gegenstände im Haus zählt, die noch an ihrem Platz stehen und/oder unbeschädigt sind. Er öffnet die Kühlschranktür und erblickt zu seinem geheimen Entzücken eine Flasche voller wunderbar bernsteingelbem Slibowitz. „Als erstes fahren wir hin und sehen nach, ob er sich beruhigt hat“, sagt seine leibliche Schwester. „Wahrscheinlich treffen wir Dr. K. dort an, vielleicht kann er uns schon Näheres sagen.“ Sie beginnt in den Trümmerhalden der Küche irgend etwas zu suchen, kramt und scharrt, niest aufgrund der Vielzahl verstäubter Gewürze, rotzt und schnieft, hustet, das Haar im Gesicht. „Ich habe nur noch daraufgewartet, daß du mit dem Wagen kommst.“
    „Wieso?“
    „Na, selbstverständlich damit du mich in die Psychiatrie fährst“, lautet die ungnädige Entgegnung von des geschätzten Autors leiblicher Schwester, die nun aus dem Gerumpel eine unversehrte Schachtel Zigaretten klaubt und sich nervös einen der Glimmstengel anzündet.
    „Ja, um Himmels willen, ihr habt doch selbst ein Auto.“
    „Sicher, aber Günther hat Zucker in den Tank geschüttet.“ Paff, paff-paff. Schmauch. „Nicht einmal der heilige Christophorus könnte es noch zum Fahren bringen.“ Paff-paff.
    „Zucker …?!“ Euer nunmehr doch äußerst verblüffter Science Fiction-Autor tritt ans Fenster, um ratlos den vorm Haus

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