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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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haben wird. Er verzichtet a priori darauf, seine Schreibmaschine überhaupt anzuschauen. Heute wird sein der Unsterblichkeit verschriebenes Werk Geschaffen ganz aus Schweigen keine wesentliche Erweiterung erfahren. Heute fände er, das sieht er ganz realistisch, nicht einmal genug Zeit für eine Hörerzuschrift an den Landfunk. Aber halt! Eines wollen wir hier unmißverständlich klarstellen: Euer lesertreuer Science Fiction-Autor würde selbstverständlich lieber schreiben. Doch er kennt ihn zu gut, diesen quengeligen, aggressiv-psychotischen Tonfall, er weiß, daß seine liebe leibliche Schwester es ihm sechs Jahre lang nachtrüge, griffe er jetzt nicht ein, und nicht davon zu quatschen aufhörte, solange sie lebte auf Erden. Immer ist er derjenige in der Familie, der sich um alles kümmern muß. „Wofür gibt es eigentlich Rechtsanwälte?“ nuschelt verdrossen euer dufter Science Fiction-Autor, während er seinen von einer Traube von Hämorrhoiden beschwerten Arsch aufs Wasserklosett senkt; und das ist nun auch echt der Moment zum Ausblenden, weil es den Durchschnittsleser zu stark verstören müßte, zwänge man ihm auf, sich seinen Lieblingsautor auf dem Scheißhaus vorzustellen. Schließlich darf man dem Leser nicht zuviel zumuten.
     
    Ungefähr eineinhalb Stunden sind verstrichen, als euer herzensguter Autor seinen PKW vorm Einfamilienhaus seines schwer heimgesuchten Schwagers parkt, und da sieht er schon bei den Nachbarn, soweit das Auge reicht, die Scheiben eingeschmissen. „Du liebe Kacke“, faucht euer spitzenklassiger Science Fiction-Autor das Lenkrad an, während er die Handbremse anzieht. „Ja, Mann, das ist ja eine mistige merde .“ Bei dieser Gelegenheit können die früher (ist aber schon verdammt lange her) so genannten geneigten Leser zur Kenntnis nehmen, daß ihr bekannter und beliebter Autor auch hinreichend romanistisch gebildet ist (und ist es nicht schön , das zu wissen?). Na, was geschieht wohl, als ihm jemand die Haustür öffnet? Steht auf der Schwelle eine widerliche Kreatur mit einem nukleargeladenen Energieassimilator? Ist es DER MAULWURF, der die Macht übernehmen und die Menschheit versklaven will? Trifft ihn urplötzlich ein Hieb mit einem Sandsack auf den Hinterkopf? Erwartet ihn ein Mann von einem anderen Planeten, um sich mit ihm über Schopenhauer zu unterhalten? Eine strammärschige Blondine, die in verzehrendem Maße darauf brennt, ihm die Hand zu küssen? I wo! Seine leibliche Schwester hat die Tür mit dem schmiedeeisernen Rankengitter über der Drahtverglasung aufgerissen. Ja, wieder ist es seine teure leibliche Schwester, die jetzt auftritt, als wäre dies Vorortkaff die letzte Metropole der Welt – aber was konnte man denn anderes erhoffen? Der Durchschnittsleser darf sich ja nun wirklich nicht zuviel von einem Text versprechen.
    Jedenfalls zieht euer blauäugiger Science Fiction-Schriftsteller nicht eben eine Miene wie angesichts seiner verloren geglaubten Liebe, als er im Türrahmen seine leibliche Schwester erblickt, ein inkarniertes Heiligenbildchen, ein heilsamer Schock für jeden Uneingeweihten, zum Beispiel Anrufer jenes Notariats, dem sie seit langem unermüdlich ihre besten Jahre opfert, die aus ihrer nur vom Nikotin rauchigen Stimme die kühnsten Schlußfolgerungen ziehen. Und seine Miene verfinstert sich gar noch, als er, während er durch die Zimmer streift, Zerstörungen gewalttätigen Wahnwitzes sieht: ausgehängte Türen, heruntergerissene Wandschränke, Kleckse von Ketchup und Marmelade an den Tapeten, überall Häufchen zusammengekehrter Scherben von Bierflaschen, sämtliche Fenster eingeworfen – von innen nach außen. „Siehst du das?“ wendet seine Schwester, ihm auf dem Fuße gefolgt, sich hinterrücks an ihn. „Siehst du das?“ Mit zittrigen Fingern entzündet sie sich eine Zigarette.
    „Selbstverständlich sehe ich das“, schnauzt euer Autor, denn er hat ja Augen im Kopf. „Ich habe doch Augen im Kopf.“ Er schüttelt den Kopf, worin er diese Augen hat. „Mann, Mann, ist das eine Kacke.“ Ein Autor soll sich eigentlich möglichst wenig wiederholen, aber das ist jetzt auch schon scheißegal. Kaffeedurst peinigt ihn, sein ständiger innerkosmischer Begleiter, Folge seines Blutunterdrucks, und er schielt über die versauten Arbeitsflächen der Küche und besudelten Tische, um womöglich eine Kaffeekanne zu erspähen, aus der Dampf quillt, oder eine Thermoskanne, die verdächtig nach heißer schokoladenbrauner Füllung aussieht. Eine

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