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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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es den Atem. Kann das noch ein gutes Ende nehmen? Ist dies der Kulminationspunkt seiner erregten Laufbahn? Steht in seinem Dasein eine entscheidende Wende bevor? Wer kann es wissen? „Ich habe dir, als du sechs warst und diese schwere Erkältung hattest, das Leben gerettet …“ Sie hustet und schnauft.
    „Ich hatte eine Erscheinung … und rettete dir mit heißem Zitronensaft das Leben …“ Entschlossen greift sie eigenhändig nach der Flasche und füllt erneut Slibowitz ins Stamperl. Ihr Sohn hört seine Schwester im Flur kramen; anscheinend macht sie sich fertig zum Gehen. Euer Autor klatscht sich eine Hand auf die Stirn; ihm fehlen die Worte. „Nun werde ich auch meinen Schwiegersohn retten …“ Sie leert das Stamperl, verzieht das Gesicht zu einer Grimasse des Grams und stellt das Gläschen mit einem Knall auf den Kühlschrank ab. „Bring mich sofort zum Psüschahter. Ich rede mit ihm. Ich rette Günther. Auf ein Mutterherz wird der Psüschahter hören.“
    Nun erkennt euer bereits stark in Mitleidenschaft gezogener Autor die entsetzliche Gefahr. Die Absicht seiner Mutter ist eine Bedrohung für die gesamte Familie. Wenn man ihr die Gelegenheit einräumt, sich beim Psychiater auszuquatschen, wird er zwangsläufig irgendwann etwas über ihre Joghurtbechersammlung von 620 ausgesucht schönen Exemplaren erfahren; das muß verhindert werden. Das restliche Ansehen der Familie steht auf dem Spiel. Keine Familie kann sich mehrere Verrückte leisten; zumindest aber sollten zwischen den einzelnen Fällen besser ein paar Generationen liegen. Euer in Bedrängnis geratener Autor begreift das alles mit der unvermuteten Geistesklarheit, die nur in Notlagen auftritt und sogar den überrascht, den sie befällt. Er erkennt messerscharf, daß dies der kritische Moment ist, in dem wieder einmal alles von seinem Handeln abhängt. Sein Entschluß steht binnen einer Sekunde fest. „Liebe Mutter“, sagt er mit allem Ernst und Nachdruck, „ich hatte damals keine gewöhnliche Erkältung, sondern – wie sich später herausstellte – eine Rippenfellentzündung, und du hast sie unbehandelt gelassen. Ich wollte dich nie mit diesem Wissen belasten, aber …“ – hier setzt euer Autor eine betrübte Miene auf – „… dein unfrommer Hochmut läßt mir keine Wahl.“ Ergriffen von der Taktik des Augenblicks, strafft er sich und legt seiner gereizten leiblichen Mutter eine Hand auf die Schulter. „Ja, es war eine Rippenfellentzündung, und du hast sie ohne Behandlung gelassen. Doch ich verzeihe dir. Wie ein Sohn verzeihe ich dir. Laß uns auf deine Gesundheit trinken.“ Er kippt Slibowitz ins Stamperl und reicht es seiner erbleichten leiblichen Mutter. „Auf dein Wohl, liebe Mutter!“
    „Wie … wie kannst du so etwas sagen“, greint sie in halb entrüstetem, halb weinerlichen Ton, wie man ihn bisweilen von Säuglingen hört, denen das Rülpsen schwerfällt. Doch es läßt sich nicht behaupten, daß dieser Mutterkreuzträgerin das Rülpsen schwerfiele. Sie drückt sich eine Hand auf den Leib und rülpst mit Wucht eines Hardrock-Orkans, schwankt selber infolge der endogenen Erschütterung.
    Ungerührt von diesem Anschlag aufsein Wohlbefinden gießt ihr lieber leiblicher Sohn von neuem Slibowitz ein. „Trink noch ein Gläschen, Mütterlein“, rät er in scheinheiliger Schmeichelei. „Das ist gut für die Verdauung.“ Von dieser Fürsorge übermannt, befolgt das Mütterlein die Empfehlung. „Du kannst ruhig noch einen vertragen“, lügt wie gedruckt ihr Sohn und leert durch abermaliges Füllen des Stamperls die Flasche zur Hälfte. Überwältigt von der Herzlichkeit ihres leiblichen Sohnes, trinkt das Mütterlein auch diesmal das Stamperl aus, und da wird es anfallartig von Schluckauf gepackt und taumelt gegen den Kühlschrank, tritt mit dem Fuß in den durch Gewalteinwirkung bodenlosen Rahmen einer Schublade, stammelt etwas über die Gallenblase. Darauf jedoch kann jetzt keine Rücksicht genommen werden. Die Zeit drängt, denn im Flur raschelt die leibliche Schwester des in tausend Nöten befindlichen Science Fiction-Autors nun mit Garderobe! Noch einmal füllt er das kleine Trinkgefäß. „Gegen Schluckauf hilft nichts besser als ein tüchtiger Schluck“, versichert er heuchlerisch und stützt seine leibliche Mutter am Ellbogen, um ihr den Arm mit dem Slibowitz unter Anwendung sanfterer Gewalt ans Kinn zu heben. Sie schnappt nach Luft und stottert herum, aber sie trinkt, und unterdessen rutscht ihr die altmodische

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