Gemischte Gefühle
Handtasche vom anderen Unterarm und fällt zwischen die vielen hundert Scherben des zuvor bloß 44teiligen Speiseservice Mylady Platin. „Wir müssen gleich gehen, Mütterchen. Am besten trinkst du jetzt aus.“ Euer listiger Autor benimmt sich ganz so, als fülle er das Stamperl nun zum ersten Mal, obwohl das so wenig erstmals geschieht wie an diesem mißratenen Tag erstmalig die Sonne aufging. Nach diesem Gläschen erleidet sein armes Mütterchen einen ernsten Erstickungsanfall, die Augen werden glasig, die Wangen fleckig, es krümmt sich und röchelt, und in diesem Moment kehrt eures Autors leibliche Schwester zurück in die Küche. Geistesgegenwärtig ergreift er sein liebes leibliches Mutterherz unter den Schultern und hält es ihr entgegen wie ein dahingerafftes Lamm. „Schau dir doch bloß mal das an“, ruft er mit kläglicher Stimme. „Kaum wende ich für einen Augenblick den Rücken, da betrinkt sich deine Mutter! Ich hätte nicht gedacht, daß ich so etwas noch erleben müßte.“ Er schleift seine leibliche Mutter ins Wohnzimmer und bettet sie in einen Sessel mit aufgerissenem Polster, dessen Beine abgebrochen sind, während seine leibliche Schwester nutzlos die Hände ringt und beim Bemühen, sich eine anzuzünden, ringsum ihre Zigaretten verstreut wie die Madonna der Trümmerfrauen.
„Meine Güte! Warum hast du nicht aufgepaßt ?! Was jetzt? Was jetzt?“ Ihre Hände fuchteln und fummeln, Tabak rieselt zwischen ihren Fingern hindurch, sie sucht vergeblich das Feuerzeug.
„Leg’ ihr kalte Umschläge auf, das stabilisiert den Kreislauf,“ empfiehlt euer Science Fiction-Autor. „Inzwischen fahre ich allein in die Psychiatrie und erkundige mich danach, was los ist.“ Bevor seine dermaßen überrumpelte leibliche Schwester irgendein Wort herausbringt, eilt er aus dem Wohnzimmer und dem Haus, zwar froh, von diesem strapaziösen Tableau Abschied nehmen zu können, aber mit einem Horror von der nun anstehenden, ungewissen Begegnung mit seinem unglückseligen Schwager.
Eine weitere Stunde später folgt euer aufs Schlimmste gefaßter Science Fiction-Autor einem Pfleger, der anscheinend an krankhafter Breitschultrigkeit leidet, durch die Korridore der Psychiatrie zur Geschlossenen Abteilung. Auf die weitflächigen Fensterscheiben der Flure sind schwarze Silhouetten von Raubvögeln geklebt, um längst ausgestorbene Singvögel fernzuhalten. Wie um sicherzugehen, daß seine Ähnlichkeit mit einem Fleischergesellen nicht übersehen wird, trägt der Pfleger einen weißen Kittel. „So, Sie sind Schriftsteller“, sagt er unterwegs plötzlich, als wäre er gerade zum Eindruck gelangt, das sei eine in unbestimmbaren Zügen komische Tätigkeit. „Von der Sorte hatten wir hier schon viele.“
„Ein tragisches Geschick scheint oftmals den Schriftsteller mit dem Wahnsinn zu vermählen“, entgegnet euer auf unerklärliche Weise geschmeichelter Autor in druckreifer Fassung. „Villiers de l’Isle-Adam zum Beispiel befand sich einmal in besonders bedrückender Armut, so daß er sich bei einem Irrenarzt verdingen mußte.“ Verlegener Seitenblick. „So nannte man das früher. Jedenfalls, er sollte bei ihm den Geheilten spielen, um neue Patienten zu werben, aber leider beging Villiers den Fehler, im Wartezimmer aus seiner Tragödie Axel vorzulesen, und deshalb zweifelte jeder an seiner Genesung, so daß er seine Stellung wieder verlor.“ Als euer etwas voreiliger Autor einen Moment länger über die Äußerung des Pflegers nachgedacht hat, macht er hastig eine Ergänzung. „Ich beabsichtige meinen Aufenthalt aber nicht auszudehnen. Ich bin nur zu einem Besuch hier, das wissen Sie doch noch, oder?“
„Völlig klarer Fall. Aber was nicht ist, kann ja bekanntlich noch werden.“ Der Humor des Pflegers ist von der goldenen Art, die jedes Herz zum Hüpfen bringt. Er verharrt vor einer grauen Tür am Ende des Korridors und zückt einen Schlüsselbund. Beklommen sieht euer ruh- und friedloser Science Fiction-Autor ihm beim Aufsperren zu. Wer oder was mag ihn hinter dieser Tür erwarten? Zaches Tarnkapp auf der Höhe seines Ruhms? Ein Mann von einem anderen Planeten auf Filmexpedition? Ein mutiertes Pseudo-Faultier, das ihn mit einem Strahl aus seinen Stinkdrüsen unter den Menschen stinkmarken will? Knak, der hybernierte Barbar, der ihm von Herzen gerne seinen verzauberten Morgenstern zwischen die Ohren knallen möchte? Eine strammärschige Blondine, deren schlafloser Nächte Traum Erfüllung fände, dürfte
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