Gemischte Gefühle
sie ihm die Künstlerhand küssen? Doch die kafkaske Welt von Befragungen und Beuge-Indikationen hinter der Tür kennt keine Besonderheiten. Erfreulich: Die Fenster sind unvergittert; aber die Möbel alt, die Einrichtung ist kaum dem Zeitalter der Tütenlampen entwachsen, sauber aber schäbig, poliert aber verschlissen. Rechts sitzt in einem Gemeinschaftsraum ein Dutzend Patienten beiderlei Geschlechts herum: eine Vielfalt von Schädelmißbildungen und Behaarungsanomalien, Augenfehlstellungen und Sperrgebissen. Offene Münder, läppisches Grinsen, verzweifeltes Grimassieren. Ein SW-Fernseher dröhnt ihnen, die ihm bestenfalls geteilte Beachtung schenken, wie zum Hohne gerade die Instrumentalversion von Fade Away and Radiale vor, die neue Pausen-Erkennungsmelodie des Vierten. Der Pfleger schließt die dicke Tür von innen ab. „Einen Moment“, sagt er. „Setzen Sie sich ruhig solange hin.“
Aber euer hypernervöser Science Fiction-Autor hat kaum Gelegenheit, geschielt ein paar mißtrauische Blicke in die Runde zu werfen, da kommt der Pfleger bereits wieder – mit Günther im Schlepptau, der sich mit robotischer Eckigkeit bewegt, dessen Augen so stumpf sind wie schmutzige Klosettfenster. „Er hat schon einen Spitznamen bei unseren anderen Freunden“, berichtet mit unvermittelter Leutseligkeit der Pfleger. „Sie nennen ihn Pastornoster.“
„Günther!“
„Sobald Sie wieder gehen möchten, kommen Sie nach Zimmer 10, dann schließe ich Ihnen auf.“ Der Pfleger trottet davon, beginnt in einigem Abstand zu pfeifen.
„Günther! Was ist bloß mit dir? Wozu soll das alles gut sein, verdammt noch mal?!“
„Im gewaltigen kosmischen Ringen spielen jetzt Tage keine Rolle mehr“, erwidert des entsetzten Science Fiction-Autors Schwager mit klassischer Grabesstimme. „Zuwiderhandlungen ziehen die sofortige Vernichtung nach sich. Weiteres wird die Kakerlakenkonferenz festlegen.“
„Was? Was? “
„Ein gigantisches Komplott von Kabbalisten und Kollaborateuren. Verdammt schlaue Teufel unter der Cheops-Pyramide. Deshalb habe ich den Mutantenkakerlakenintendanten alarmiert.“ Günthers verengte Pupillen rucken argwöhnisch nach links und rechts; sein Blick ist kalt und hintergründig. „Aber nichts weitersagen. Nur der Mutantenkakerlakenpastorkandidat weiß noch Bescheid. Meine Stimmen sprechen auch zu ihm.“
„Mutantenkakerlaken? Stimmen? Günther, um Himmels willen …!“
„Der durchschnittlich begabte Mutantenkakerlak hat zirka achtundneunzig Beine, zehn Tentakel, sechs Stielaugen und drei ausfahrbare Freßhälse. Die Mutantenkakerlaken stammen von im Bermuda-Dreieck gestrandeten Touristen ab.“
„So etwas gibt es doch gar nicht, Günther. Komm zur Vernunft! Deine Nachbarn sind gewaltig sauer auf dich.“
Günther mustert ihn kurz mit der nur halb verhohlenen Geringschätzigkeit des Eingeweihten für die Ahnungslosen. „Alles andere durch die Kakerlakenkonferenz“, sagt er unwirsch; und macht auf dem Absatz kehrt, um sich mit steifen Schritten zu entfernen.
„Das ist alles, was du erreicht hast?!“ kreischt des Autors leibliche Schwester nach seiner Rückkehr ins demolierte Haus seines Schwagers, wo ihre gemeinsame leibliche Mutter nun auf den Bestandteilen verschiedener Polster liegt, auf der Stirn einen feuchten Waschlappen, und schnarcht wie ein Flußpferd. „Ja, bist du denn zu nichts zu gebrauchen?! Wenn du nicht die Absicht hattest, deinen Verwandten in dieser Notlage beizustehen, solltest du dich nicht aufgedrängt haben, bloß um alles durcheinanderzubringen. Hast du Dr. K. getroffen? Hast du deinen Rechtsanwalt verständigt?“
„Ich habe Dr. K. nicht getroffen und auch keinen Wert darauf gelegt. Und was meinen Rechtsanwalt angeht, liebe Schwester, so war es dein erklärter Wunsch, daß ich ihn heraushalte. Aber er könnte, falls dich das tröstet, vorerst sowieso nichts unternehmen. Es liegt ein ordnungsgemäßer richterlicher Beschluß zu Günthers Zwangseinweisung vor. Und davon, daß ich irgend etwas durcheinandergebracht hätte, kann wohl gar keine Rede sein.“
Des so ungerecht behandelten Autors leibliche Schwester stampft mit den Füßen auf, erst mit dem einen, dann mit dem anderen Fuß, und läßt das rote Haar mit einem Ruck über ihre Schulter wallen. „Du hochnäsiger Klugscheißer“, faucht sie. „Glaubst du vielleicht, du könntest dir was einbilden, weil du dich Schriftsteller nennen darfst? Möglicherweise wäre es Günther nie so ergangen, hättest du
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