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Gemischte Gefühle

Gemischte Gefühle

Titel: Gemischte Gefühle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ronald M. Hahn
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brüderlichen Beistand. Außerdem hast du unserer Mutter mit brutaler Gewalt Alkohol eingeflößt – unserer eigenen leiblichen Mutter! Was hast du dir nur dabei gedacht?“
    „Wir haben eure Schwester in der Sprechstunde bei Dr. K. getroffen; nach deinem unverschämten Auftritt mußte sie sich sofort zu ihm zur Therapie begeben, und sie hat uns alles erzählt. Du hast die Haustür dermaßen zugeschlagen, daß drinnen alles zusammengebrochen ist, der Schaden geht ins Unermeßliche, man denke allein an das wertvolle japanische Tee-Service, ganz zu schweigen von …“
    „Wie bitte?“ Vor diesem Unrecht, das ihm geschieht, versagt zunächst die Fassungskraft eures dank seines in der Entstehung begriffenen Werkes Geschaffen ganz aus Schweigen auf den Stufen zum Weltruhm angesiedelten Science Fiction-Schriftstellers; er starrt seinen leiblichen Bruder und dessen Gattin an, als wären sie ein Paar aus einer anderen Zeit, die der Gegenwart so fremd erscheinen muß wie den Troglodyten die Schaltzentrale eines Kernkraftwerkes.
    Sein leiblicher Bruder bläst sich noch stärker auf, so daß ihm an den Schultern seiner beschissenen konservativen Tweedjacke schier die Nähte platzen wollen. Aus Gehässigkeit ist sein Maul so breit geworden wie das eines Ochsenfroschs. „Du solltest dich was schämen“, rät er in vollem Ernst. „Die Familie hat deine Verdrehtheiten und Saufereien sowieso schon lange satt, aber nun hast du dir zuviel herausgenommen. Du bist entschieden zu weit gegangen. Dein Benehmen ist eine Schande, und wir werden’s nicht dulden, daß du …“
    „Wir finden, daß deine verdrehten Schriften verboten gehören, und eure Schwester ist auch dieser Meinung“, unterbricht ihn seine Gattin. „Wir finden dich unmöglich. Wir …“
    „Ich soll an allem schuld sein?“ fällt ihr seinerseits – noch mit allen Anzeichen der Ungläubigkeit – euer Autor ins Wort. „Selbst wenn ich jemals etwas von der Art geschrieben hätte, was Günther las – und das ist nicht der Fall –, er hat von mir nie eine Zeile gelesen. Das weiß ich genau. Ich konnte ihn fragen, wann ich wollte, er wußte nie, was ich …“
    „Papperlapapp!“ Arrogant rümpft sein leiblicher Bruder die Knollennase. „Das sind doch nur Ausreden. Glaubst du, nach allem, was du dir bisher geleistet hast, hören wir uns von dir auch noch solche …“ Er verstummte, und seine Augen weiten sich. Euer vielgescholtener Autor hat nämlich urplötzlich seinen alten zerfledderten Herrenschirm aus dem Schirmständer gerissen und drückt seinem leiblichen Bruder die metallene Schirmspitze an die fleischigen Kehllappen.
    „Hinaus“, befiehlt euer Science Fiction-Autor in frostiger Entschlossenheit. „Hinaus mit euch. Wird’s bald?! Raus, raus!“
    „Er ist ja nicht bloß völlig verdreht“, keckert seines leiblichen Bruders ständig am Rande zur Hysterie schwankenden Gattin, „sondern richtig gemeingefährlich. Wir sollten die Polizei rufen.“
    „Wir strafen ihn mit Verachtung“, näselt ihr Gatte. „Du wirst das noch bereuen“, verheißt er und führt seine Angetraute eilends nach draußen. Euer Autor knallt hinter ihnen die Tür ins Schloß.
    Euer vielgequälter Science Fiction-Autor, der nun allmählich mit dem Gedanken spielt, ob er nicht zu Gott zurückkehren soll, ringt um Atem und wischt sich Schweiß von der Denkerstirn. Da klingelt das Telefon. Das Geräusch, mit dem für ihn am Morgen das Unheil seinen Lauf nahm, nämlich das Klingeln des Telefons, wiederholt sich, und er steht für einen Moment wie versteinert; aber dann geht er die paar Schritte zum Apparat und hebt ab. Noch übler kann es ja nicht kommen. Wer ist der Anrufer? Ein außerirdischer Ausländer, der ihm das Patent des gegen Atomraketen nutzlosen Energieschirms aufschwatzen will? Der Bürgermeister, der versehentlich die Absicht hat, ihm zum hundertsten Geburtstag zu gratulieren? Stalins Sohn, der ihn als Ghostwriter seiner Memoiren anzuwerben wünscht? Ein Science Fiction-Fan, der die Übergabe der in eures Autors Raritätensammlung enthaltenen 1930er Ausgabe von Der Zukunftsstaat als höchstes Ziel der Naturheilkunde verlangt, andernfalls er die Pseudonyme, unter denen seine Pornos erschienen sind, aufzudecken droht? Eine strammärschige Blondine, die fernmündlich sein Einverständnis einholen möchte, sich endlich, endlich ihren langgehegten Herzenswunsch erfüllen und ihm den Schwanz küssen zu dürfen? Keineswegs, wie man sich mittlerweile denken kann. Es ist

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