Gemischte Gefühle
dem Science Fiction-Klub in flagranti crimine beim Installieren einer Bombe? Erwartet ihn eine strammärschige Blondine, um sich endlich ihren kühnsten Wunschtraum zu erfüllen, nämlich ihm die Hand zu küssen? Nichts dergleichen: Es hält sich kein Fremder im Apartment auf. Nur Regen ist ins Arbeitszimmer eingedrungen, denn euer Science Fiction-Autor wollte arglos für ein Weilchen lüften, während er sich ankleidete, um seiner bedrängten leiblichen Schwester und deren bedrängten Ehemann zu Hilfe zu eilen, als er noch glaubte, sie bedränge etwas anderes als ihre eigenen Verrücktheiten. Leider vergaß er in seiner Beunruhigung, wie sich jetzt herausstellt, das Fenster wieder zu schließen, ehe er sich auf den Weg machte, um sich als brüderlicher Retter in der Not zu bewähren, und inzwischen ist die schönste Sauerei entstanden. Der Wind muß ganze Regenschleier ins Zimmer geschleudert haben; der Teppichboden wölbt sich vor Nässe, die Schreibtischutensilien sind im ganzen Raum verstreut, Manuskriptseiten (darunter auch solche des noch nicht fertigen, aber für die Ewigkeit bestimmten Werkes Geschaffen ganz aus Schweigen) liegen durchnäßt überall verteilt, kleben stellenweise an feuchtem Holz. Mit einem blasphemischen Fluch schließt euer auch noch derartig heimgesuchter Schriftsteller das Fenster, stemmt die Fäuste in die Hüften und schüttelt erbittert den Kopf. Anscheinend bleibt ihm nichts erspart. Doch halt! In einer nicht unerheblichen Beziehung ist ihm das Glück hold gewesen: Seine IBM-Kugelkopfmaschine ist noch abgedeckt. Wind und Regen konnten ihr nichts anhaben. So widerfährt seinem rastlosen Schaffen wenigstens keine längere Unterbrechung.
Gerade hat er mit verkniffener Miene eine Anzahl der durcheinandergewirbelten Manuskriptseiten aufgesammelt, da ertönt von der Tür seines Apartments der Summer. Euer Autor stößt einen lauten Seufzer aus, wirft die Blätter in den Ablagekorb und geht die Tür öffnen. Und wer steht untermutet auf der Matte? Ist es ein Geist (oder vielleicht besser: das Gespenst?) Hugo Gernsbacks, der sich als zehnte Muse betätigt und eurem begabten Science Fiction-Autor neue Ideen von intergalaktischer Spitzenklasse einflüstern möchte? Ein Mann von einem anderen Planeten, der nichts anderes zu tun hat und ihn gern über das Rätsel der Ufos aufklären würde? Ein Mann aus einer anderen Zeit, der in seine Hände das Geheimnis der Zeitreise legen will? 8143 Dämonen, die danach trachten, das Universum zu verschlingen? Eine strammärschige Blondine, die sich endlich dazu durchgerungen hat, vor ihrem verehrten Lieblingsautor auf die Knie zu sinken und ihn darum anzuflehen, ihm die Hand küssen zu dürfen? Quatsch! Niemand anderes als sein leiblicher Bruder und dessen Angetraute sind es, die vor seiner Tür stehen und Gesichter aufgesetzt haben wie Bradbury’sche Blitzableitervertreter: zerknittert von Schwermut, unablässig gehetzt durch bedrohliche Vorahnungen, verkrampft im Bewußtsein der eigenen Ratlosigkeit. „Du …!“ Seines leiblichen Bruders krummer Zeigefinger zuckt vorwärts, als er unaufgefordert über die Schwelle tritt. Mit seiner kruden Halblangfrisur, dem graublauen Kinn und der leicht knollenartigen Nase, dem Erbteil seiner Mutter, das eurem mittlerweile beträchtlich angehärmten Autor glücklicherweise versagt blieb, sieht desselben leiblicher Bruder aus wie eine miese Karikatur von Abi Ofarim. „Was hast du getan? Was fällt dir ein?!“
„Wie konntest du denn so etwas machen?“ ergänzt ihn gekrächzt seine spargeldürre Gattin, an ihre nutzlose Handtasche geklammert wie eine ausgehungerte Äffin.
„Wovon redet ihr“ erkundigte sich mit beherrschter Stimme euer Science Fiction-Autor, dem allerdings schon Schlimmes schwant. Offenbar ist unterdessen die ganze Verwandtschaft in Aufruhr geraten, und wie immer ist er an allem schuld, obwohl er doch hauptsächlich zu Hause sitzt und fleißig schreibt. „Worum geht’s?“
„Du bist an allem schuld“, behauptet prompt wie unverfroren sein leiblicher Bruder und wirft sich die Strähnen aus der Stirn, indem er sich strafft, um seine Anschuldigungen buchstäblich erhobenen Hauptes vorzutragen. Sein Kinn zittert aus selbstgerechter Aggressivität, einem Surrogat, das häufig beim Mangel an echtem Anlaß zu gerechtem Zorn herhalten muß. „Erst bringst du Günther mit deinen Spinnereien völlig aus dem Gleichgewicht. Dann verweigerst du unserer schwer geprüften leiblichen Schwester jeden
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